Green Tech Germany
Lesezeit ca. 15 Min.Green Tech Germany: Das neue deutsche WirtschaftswunderAls Theodor Stiebel auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1924 einen Ringtauchsieder vorstellte, der erstmals als Hohlzylinder gefertigt und sich damit besonders schnell aufheizte, konnte der junge Maschinenbauer nicht ahnen, dass er damit den Grundstein für einen Wachstumsboom legen würde, der erst rund 100 Jahre später seine volle Wirkung entfalten würde. Doch genau so war es.
Denn die ELTRON Dr. Theodor Stiebel, die ihren Namen später in Stiebel Eltron vereinfachte, gehört heute zur Elite der Green Tech-Firmen, die gerade im Begriff sind, ein grünes Wirtschaftswunder anzufachen. Ihre Produkte und Lösungen sorgen nicht nur für Umsätze und Arbeitsplätze, sondern auch für umweltfreundlicheres und ressourcenschonenderes Wirtschaften. Populär sind sie, weil in ihnen Ökonomie und Ökologie zusammenzufinden scheinen: Im Idealfall bedeuten mehr grüne Technologien ein höheres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig sinkenden Emissionen. Es ist eine Quadratur des Kreises, die hier zu gelingen scheint, und besonders versiert in diesem Kunstgriff sind deutsche Unternehmen. Laut „GreenTech-Atlas 2021“ des Bundesumweltministeriums liegt der Beitrag Deutschlands an der Weltwirtschaftsleistung aktuell bei 3.4 Prozent. Der Anteil deutscher Firmen am Weltmarkt für grüne Technologien aber beträgt gewaltige 14 Prozent, bei nachhaltiger Mobilität und Kreislaufwirtschaft liegt der Anteil sogar noch höher. Zu den Pionieren zählen Traditionskonzerne wie Bosch und Continental mit ihren nachhaltigen Mobilitätstechnologien, aber auch Start-Ups wie Ineratec und Mittelständler wie das Familienunternehmen Stiebel Eltron aus dem niedersächsischen Holzminden.
Woran liegt das? Weshalb sind die häufig vielgescholtenen Deutschen in puncto Green Tech offenbar führend? Und welche Stärken sind in diesem Geschäft gefragt? Eine Analyse in sechs plus eins Eigenschaften.
Hartnäckigkeit
Der aktuelle Boom bei Stiebel Eltron begann vor fast 40 Jahren mit einer strategischen Entscheidung, die lange als Fehler bewertet wurde. Als der Ölpreisschock in den Siebziger Jahren Energie in ein teures Gut verwandelte, setzte der niedersächsische Mittelständler auf die Entwicklung von Wärmepumpen. Die Mini-Kraftwerke, die Umgebungswärme mithilfe von Strom in Heizenergie verwandeln, bildeten eine ressourcen- und kostenschonende Alternative zur klassischen Gas- oder Ölheizung. Das Problem war nur: als in den Achtzigern die Ölpreise wieder sanken, rauschte auch die Nachfrage nach Wärmepumpen in den Keller. Das Besondere: das Familienunternehmen blieb dennoch am Thema dran.
„Wir haben mit unseren Wärmepumpen jahrzehntelang Geld verloren“, sagt Henning Schulz, der Sprecher des Unternehmens. Ein kapitalmarktgetriebenes Unternehmen hätte sich eine derartige Dauer- Hängepartie niemals leisten können. „Als langfristig orientiertes Familienunternehmen aber sind wir der Technologie dennoch treu geblieben, weil wir immer an sie geglaubt haben.“ Und heute zahlt sich diese Hartnäckigkeit aus.
Nach vier Jahrzehnten des Forschens und Investierens halten die Holzmindener heute weltweit rund 300 Patente zu Wärmepumpen und gelten als einer der europäischen Top 5-Anbieter. Aktuell steckt das Unternehmen fast eine halbe Milliarde Euro in den Ausbau seiner Fertigungskapazitäten, um bis 2027 den Output an klimaneutralen Heizgeräten zu verdreifachen. Gleichzeitig investiert das Unternehmen in die Entwicklung effizienter Lüftungsanlagen, wie sie unter anderem für Passivhäuser unerlässlich sind. Auch hier zählen die Holzmindender heute zu den Marktführern.
Für Henning Schulz liegt dem Langzeiterfolg ein typisch deutsches Unternehmensmuster zugrunde. „Wir haben hierzulande viele Familienfirmen, die mit Ingenieursgeist und einer gewissen Beharrlichkeit Themen so lange kneten, bis deren Zeit gekommen ist und bessere Technologien sich durchsetzen können.“ Und für die Stiebel-Technologie ist die Zeit definitiv gekommen. Allein in deutschen Kellern und Heizungsräumen müssten, um die aktuellen Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, mindestens 500.000 alternative Heizsysteme installiert werden. Jahr für Jahr.
Verlässlichkeit
Anders als noch vor wenigen Jahren finden Innovatoren hierzulande ein Umfeld vor, in dem sich ihre langwierigen Forschung- und Entwicklungsprojekte auszahlen können. Der „Green Deal“ der Europäischen Union wirkt wie ein gewaltiges Wirtschaftsförderprogramm für nachhaltige Technologien. „Und die Ampelkoalition hat schon im ersten halben Jahr mehr verlässliche Rahmenbedingungen für Umwelttechnologien geschaffen als die Vorgängerregierung in den 16 Jahren zuvor“, lobt ein Top-Manager aus der Green Tech-Branche. Ein Beispiel dafür ist das im Juli 2022 vorgestellte Klimaschutz-Sofortprogramm der Bundesregierung: Bauherren und Immobilienbesitzer sollen demnach inihren Häusern künftig nur noch Heizungen einbauen dürfen, die zu mindestens 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden – eine Steilvorlage für Effizienztechnologien wie die Wärmepumpe.
Entsprechend optimistisch sind Experten für das weitere Wachstum der Branche. Die Autoren des GreenTech-Atlas rechnen bis 2030 mit einem Wachstum des heimischen Marktvolumens auf 856 Milliarden Euro – das ist mehr als eine Verdoppelung. Ihre Zuversicht liegt auch darin begründet, dass eine wesentliche Ressource für künftigen Erfolg von morgen in Deutschland kontinuierlich nachwächst: gut ausgebildete Ingenieurinnen und Naturwissenschaftler. Forscher und Innovatorinnen also, die im Idealfall auch unternehmerische Ambitionen mitbringen und innovative Technologien in marktfähige Geschäftsmodelle übersetzen. Leute wie Tim Böltken also.
Neugier
Wer Tim Böltken zum Zoom-Interview trifft, hat schnell das Gefühl, gerade mit der Zukunft zu sprechen. Denn der promovierte Verfahrenstechniker hat mit drei Mitgründern ein Verfahren entwickelt, das Kohlendioxid und grünen Strom in klimaneutralen Treibstoff umwandelt, mit dem sich beispielsweise Schiffe und Flugzeuge betanken lassen. „Wir drehen die Photosynthese quasi um“, erklärt der Jungunternehmer und Mitgründer von Interatec.
Aktuell errichtet Böltkens 100 Mitarbeiter-Start-Up in Frankfurt-Höchst gerade seine erste kapazitätsstarke Pionieranlage. Wenn das Ineratec-Kraftwerk 2023 in Betrieb geht, wird es das weltweit erste ihrer Art sein und jährlich bis zu 4.6 Millionen Liter Biofuel produzieren können. Das nötige CO2 wird Interatec in Frankfurt von einer benachbarten Biogasanlage beziehen, die elektrische Energie soll künftig zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen.
Clou der Ineratec-Innovation aber ist ein Container, der beim Zoom-Interview hinter Böltkens Rücken auszumachen ist. Denn dieser Standardcontainer enthält eine komplette modulare Power-to-Liquid-Anlage, die sich zu den energetischen „Sweet Spots“ schippern lässt. Überall dort, wo Sonnen- und Windstrom im Überfluss zur Verfügung stehen, könnte Ineratec künftig aus dem Container Treibstoff ohne Treibhauseffekt herstellen. Das lokal produzierte Biofuel lässt sich dann wie konventionelles Rohöl per Tanklaster oder -schiff dorthin transportieren, wo Energie knapp ist. Anders als eine Wasserstoffwirtschaft oder die E-Mobilität benötigt Böltkens Energieträger keine neue Infrastruktur, sondern nutzt einfach die bestehende. „Unser klimaneutraler Treibstoff lässt sich konventionellen Treibstoffen beimischen“ erklärt der Gründer, „mit Produktionskapazitäten kann ihr Anteil dann kontinuierlich erhöht werden.“ Einsatzbereich: prinzipiell weltweit. Bedarf: gigantisch. Die Ineratec-Innovation: ein potentieller Millionenseller.
Entstanden ist die Firma als ein Spin-Off des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), an dem Böltken promoviert hat. Seinen Mitgründer Paolo Piermartini lernte der Verfahrenstechniker im Zuge seiner Doktorarbeit am KIT kennen, ein weiterer Mitgründer ist sein Doktorvater.„Mit unserem Ursprung im KIT“, sagt Böltken, „hatten wir stets einen guten Zugang zur Forschungsinfrastruktur. Und gerade zu Beginn unserer Gründung haben wir von einer engen Begleitung und Beratung profitiert.“ Wenn permanente Innovation auf ein Marktumfeld trifft, das sie aufsaugt und nährt, kann so ein Boom wachsen. Genau das scheint gerade in Deutschland der Fall.
Unternehmergeist
Für Jan Christoph Gras liegt in der engen Verzahnung von Hochschulen und Wirtschaft eine der großen Stärken der deutschen Green Tech-Szene. Gras ist Multiunternehmer, Mitgründer der Tomorrow Bank, Wagniskapitalgeber und Investor in einer Vielzahl von Firmen. „Was GreenTech betrifft, sind insbesondere die Deutschen gegenüber den US-Amerikanern im Vorteil, weil unsere naturwissenschaftlichen Forschungs- und Lehreinrichtungen einfach supergut aufgestellt sind“, sagt der Berliner Business Angel. Mit seinem Wagniskapitalfonds „Planet A Ventures“ hat sich Gras in den vergangenen eineinhalb Jahren ausschließlich auf europäische Green Tech-Start-Ups fokussiert, deren Technologien einen nachweislich nennenswerten Impact auf Umwelt und Klima haben. Gerade in der Frühphase fehlte es diesen Green Tech-Innovatoren früher an Kapital und professioneller Begleitung, meint Gras. Das aber ändere sich gerade.
„In den vergangenen zwei Dekaden hieß es ja: Software eats the world. In den kommenden zwei Dekaden wird das auch GreenTech tun. Denn der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist ja alternativlos. In einer nachhaltiger wirtschaftenden Welt werden GreenTech-Firmen jene sein, die prosperieren. Und in genau jene investieren wir.“
Etwa 3.500 Firmen und Geschäftsideen haben Gras in den vergangenen eineinhalb Jahren geprüft. In aktuell in sechs – darunter auch Böltkens Ineratec – hat sein Fonds investiert. Nachdem sich die Fondsinitiatoren zu Anfang bei der Kapitalsammlung schwer tat – „als Newcomer mussten wir uns erst einmal beweisen“ – könne sich der Fonds mittlerweile vor Anfragen kaum retten, erzählt Gras. „Pensionsfonds, Family Offices und Konzerne rennen uns gerade die Bude ein.“ Ihr ursprünglich geplante Volumen von 100 Millionen Euro Kapital haben die Impact-Investoren mittlerweile überschritten. Wie sich die Formel Innovation plus Kapital in Unternehmensgründungen übersetzt, lässt sich an Zahlen startuptdetector ablesen. Demnach waren Umwelttechnologien im Jahr 2021 as Start-Up-Segment mit dem größten Zuwachs an Neugründungen. Veränderung gegenüber dem Vorjahr: plus 144 Prozent.
Marktreife
Zwar sind die Investitionen in deutsche Start-Ups und auch die Zahl der Finanzierungsrunden im ersten Krisenhalbjahr 2022 gesunken. Für Nicolas Bradford, Head of Sustainability Services bei der Unternehmensberatung MHP, steht die Delle jedoch für „eine ganz normale Marktkonsolidierung. Mittelfristig wird der Markt ohne Zweifel weiter wachsen, dazu ist der Bedarf einfach zu hoch.“ Wie die deutsche Green Tech-Branche wachsen wird und wo Verbesserungsbedarf besteht, haben Bradford und Kollegen kürzlich untersucht. Für ihre Studie „GreenTech Made in Germany“ befragten sie 40 Expert*innen aus Politik und Wirtschaft und identifizierten Handlungsbereiche, in denen Green Tech-Pioniernation noch besser werden müsste. Dazu zählen unter anderem die Entbürokratisierung, Finanzierung und Förderung von GreenTech sowie weitere politische Rahmensetzungen.
Nach Beobachtungen von Christoph Gras hapert es vor allem an der Überführung von Innovationen ins Geschäft.„Die Vorbereitung auf die Businesswelt, das Zusammenbringen mit Erstinvestoren wird von den meisten Universitäten noch stiefmütterlich behandelt“, kritisiert der Investor. „Wir haben unfassbar gute Naturwissenschaftler – aber das Matchmaking mit Entrepreneuren fehlt.“
Phantasie
Dennoch rechnen die Green Tech-Atlas-Experten daher mit einem Wachstum des deutschen Umwelttechnologie-Marktes von acht Prozent pro Jahr. Auch die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Services dürfte weiter steigen, und zwar auf ganz natürliche Weise. „Die Generation Z und nachwachsende Generationen haben sehr viel höhere Ansprüche an die nachhaltigen Qualitäten von Unternehmen und ihren Angeboten“, so Berater Bradford. Und dabei ist ein Treiber noch gar nicht mit eingepreist, auch wenn dieser das Potential zu einem echten Gamechanger in sich trägt. „Wir werden künftig die externen Effekte unseres Wirtschaftens internalisieren müssen“, meint Bradford. „Die Natur, an deren Ressourcen wir uns derzeit alle noch kostenlos bedienen, muss einen Preis bekommen. Noch ist es viel zu günstig, nicht-nachhaltig zu wirtschaften.“ Noch wird die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen rund um den Globus sogar belohnt. Laut einer Studie der Yale-Universität wird die Förderung fossiler Brennstoffe weltweit aktuell mit fünf Billionen US-Dollar pro Jahr subventioniert.
Was aber wäre, wenn die aberwitzige Fossilförderung künftig wegfiele? Was, wenn es eines Tages einen Preis für Methanausstoß, für Wasserverbrauch, für Plastikabfall gäbe? Wenn also der Verbrauch von Ressourcen verteuert und der Ausstoß umweltschädlicher Emissionen so besteuert würde, wie es heute bereits beim Klimagas CO2 geschieht?
„Wir werden früher oder später verträgliche regulatorische Eingriffe erleben“ ist Investor Gras überzeugt. „Wenn das geschieht, werden ressourcenintensive Technologien schlagartig in Rückstand geraten, während sich gleichzeitig die Wettbewerbschancen für Umwelttechnologien weiter aufhellen.“
Phantasie plus Digitalisierung
Um das Angebot CO2-freier Technologien, Produkte und Services mit den ökologischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen, ist Schnelligkeit gefragt. Nur die Unternehmen, denen es gelingt, die Neuausrichtung ihrer industriellen Wertschöpfung in einer Geschwindigkeit zu skalieren, die mit dem rasanten Wachstum von DigiTech-Unternehmen wie Apple und Amazon vergleichbar ist, werden im neuen Marktumfeld bestehen können. Die Grundlage dafür bilden umfassende Data-Monitoring- und Managementprozesse. Erst wenn die Klimarelevanz über die gesamte Lieferkette hinweg präzise dokumentiert wird, kann sie auch gesteuert werden. Kurzum: Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind untrennbar miteinander verbunden.
Gut möglich, dass vor den Green Tech-Gründerinnen und -Gründern von heute ein ähnlicher Boom liegt wie vor dem jungen Theodor Stiebel im Jahr 1924. Nur dass es heute angesichts von Klimawandel, Ressourcenknappheit und Vermüllung des Planeten für sie sehr viel schneller und steiler nach oben gehen könnte.
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