Der ewige Kreislauf
Lesezeit ca.15 Min. Der ewige KreislaufWie eine zirkulare Ökonomie das Klima retten, Rohstoffe sichern und uns zu fröhlichen Verschwendern machen könnte.
„Pollution is nothing but the resources we are not harvesting. We allow them to disperse because we've been ignorant of their value.” Buckminster Fuller, Architekt, Konstrukteur und Visionär (1895 – 1983)
Am Anfang dieser Geschichte steht ein Kreis. Ein rundes Loch, das an irgendeinem Ende der Erde in den Boden gebohrt wird, um einen Rohstoff – ein Metall, einen fossilen Brennstoff, ein seltenes Mineral – aus der Erde zu holen. Der Rohstoff wird sodann abtransportiert, verarbeitet, verkauft, benutzt und schließlich recycelt oder verbrannt. So funktioniert der Materialkreislauf unserer Industriegesellschaft. In Wirklichkeit ist er natürlich kein Kreislauf, sondern eine Einbahnstraße, die bei einem Bohrloch beginnt und bei den Mülldeponien endet. Und weil das so ist, denken immer mehr Wirtschaftstreibende über eine echte Alternative nach.
Erst waren es einsame Öko-Pioniere, inzwischen sind es etablierte Unternehmen wie der Autobauer BMW, die Immobilienspezialisten von Drees & Sommer und die Ruhrkohle AG, die das Konzept der Kreislaufwirtschaft für sich zu erschließen suchen. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Denn Circular Economy steht für weit mehr als Ressourcenschonung, effizientere Produktionsprozesse oder steigende Recyclingquoten. In einer echten Kreislaufwirtschaft sind Autos, Häuser, Verpackungen oder Kleidung so konstruiert, dass sie zum Ende ihrer Nutzungsdauer in vollwertige neue Produkte übergehen können.
Altes zu Neuem. Wiederverwertung statt Downcycling. Kreislauf- statt Abfallwirtschaft: Das ist nicht nur ökologische Notwendigkeit, sondern auch ein vielversprechendes Geschäftsmodell. Ökonomen sehen in einer Circular Economy allein bis zum Jahr 2030 ein Umsatzpotential von 4,5 Billionen Euro.
Wie kommen wir dahin? Wie realistisch ist es, aus unseren ökonomischen Einbahnstraßen Kreisverkehre zu formen? Was könnten wir auf dem Weg gewinnen, was müssten wir zurücklassen?
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Text: Harald Willenbrock
Harald Willenbrock, Texter und Autor in Hamburg, ist Mitglied der brand eins-Redaktion, Mitgründer und Co-Redaktionsleiter des Outdoor-Magazins WALDEN, Autor bei GEO, A&W, NZZ-Folio und anderen sowie Corporate Texter für Marken wie BMW, Duravit, Porsche und COR.
Einen Kirschbaum pflanzen
Etappe 1 Einen Kirschbaum pflanzen
Fast 20 Jahre ist es her, dass der Architekt William McDonough und der Chemiker Michael Braungart ein Buch mit dem Titel „Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things“ veröffentlichten. Ihr „Wiege zu Wiege“-Ansatz war ein radikales Gegenmodell zur konventionellen „Von der Wiege zur Bahre“-Mentalität. Die Formel „Nehmen, konsumieren, entsorgen“ ersetzten die Autoren durch das Prinzip „Nehmen, konsumieren, nehmen, konsumieren“. Müll wäre damit Geschichte und Verschwendung keine Verschwendung mehr – schließlich wird die benutzte Ressource nahtlos wieder neu verwendet.
„Wir sind keine Verbraucher von Fernsehern, Waschmaschinen oder Autos, wir sind Nutzer“, postulierte Braungart, ein ehemaliger Greenpeace-Aktivist und Gründer des Hamburger Umweltinstituts EPEA. „All diese Materialien können so gestaltet sein, dass sie ohne Wertverlust in Kreisläufe gehen und die Menschen sie daher verschwenderisch nutzen können.“
Das Wirtschaftsmodell der beiden Autoren orientiert sich am Lebenszyklus eines Kirschbaums: eines Organismus also, der alljährlich wieder verschwenderisch Blätter, Früchte und Kerne abwerfen kann, weil aus alldem wieder neues Leben entsteht. Und der mit alldem nebenbei auch noch Kleinlebewesen, Pflanzen, Menschen und Bodenorganismen ernährt.
„Kirschbaum-Ökonomie“ mag esoterisch klingen, steht aber für eine grundnüchterne Erkenntnis: Die Ressourcen unseres Planeten sind endlich. Die Menge an Abfällen, die wir deponieren können, ist es auch. Die Zeit, die uns für ein Umsteuern bleibt, ist überschaubar.
Die Notwendigkeit erkennen
Etappe 2Die Notwendigkeit erkennen
Diese Erkenntnis verbreitet sich mittlerweile auch in Entwicklungsabteilungen und Vorstandsetagen. „Die Auswirkungen nicht nachhaltigen Wirtschaftens sind schon heute in Form von Ressourcenmangel, Rohstoffpreisen und Klimawandel zu spüren. Auch Gesetzgeber, Gesellschaft und der Kapitalmarkt fordern immer stärker ein nachhaltigeres Wirtschaften ein. Für Unternehmen ist die Transformation damit auch eine Chance, sich am Absatz- und Arbeitsmarkt der Zukunft zu positionieren“, sagt Paul Matausch, Circular-Economy-Experte bei der Unternehmensberatung MHP. „Immer mehr Unternehmen denken um“, ergänzt sein Kollege Nikolas Bradford.
„Und zwar nicht als Selbstzweck. Mit dem Circular-Economy-Ansatz lassen sich für Firmen völlig neue Produktgattungen, Geschäftsfelder, Kundengruppen und Märkte erschließen.“ Und Markus Diem, der als Büroleiter von Michael Braungarts EPEA GmbH Unternehmen und Kommunen bei der Umstellung auf Kreislaufmodelle unterstützt, pflichtet bei:„Seit dem vergangenen Jahr erhalten wir extrem viele Anfragen. Dabei geht es gar nicht mehr nur um Lösungen für einzelne Produkte, sondern um den kompletten Umbau von Unternehmen.“Tatsächlich sind es momentan ein paar schlichte ökonomische Zwänge, die immer mehr Firmenlenker ihre Geschäftsmodelle überdenken lassen.
Ressourcenknappheit: Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Platin sind heute schon knapp – und werden es künftig noch mehr sein. Wer sie lediglich nutzt, statt sie zu verbrauchen, entkoppelt sein Unternehmen von Preis- und Nachfrageschwankungen.
Klimaschutz: Die Weiternutzung von Rohstoffen spart enorme Mengen an Energie und Kohlendioxid, die zu ihrer Gewinnung, Raffinierung und Entsorgung anfallen. „Für uns lässt sich der CO2-Ausstoß signifikant nur dann reduzieren, wenn wir auch unsere Rohstoffströme in Kreisläufe überführen“, sagt Justus Löbler vom Automobilhersteller BMW, der Circular Economy zum strategischen Unternehmensziel erklärt hat.
So gesehen müsste der Kirschbaum-Ansatz eigentlich ein Selbstgänger sein.