Waste for Future
Lesezeit: ca. 20 MinutenWaste for Future50 Millionen Tonnen Elektro-Schrott werden weltweit jedes Jahr produziert. Mit der Einführung von 5G wird der Berg der dann wertlos gewordenen Devices überproportional wachsen. Aber was heißt hier wertlos? Hoch innovative Recycling-Technologien weisen den Weg zu einem neuen, wertschätzenden Umgang mit E-Waste. Von Bakterien, die Gold aus Handy-Schrott fischen, lernenden Sortier-Robotern und Auto-Batterien als Aktien.
Sie scrollen gerade durch diese Story? Großartig, willkommen! Und Tschüss schon mal an Ihre elektronischen Assistenten. Höchstwahrscheinlich wird das Notebook, auf dem Sie gerade lesen, in fünf Jahren nicht mehr unter uns weilen. Auch die Maus, auf der Ihre Hand vielleicht gerade ruht, ist dann wahrscheinlich schon mausetot.
Ebenso das Smartphone, auf dem Sie gerade durch den Artikel fliegen. Ja, fliegen. Wir wissen, dass Sie schnell lesen. Wir alle inhalieren Informationen heute in immer größerer Hast, weil wir gefühlt weniger Zeit haben wie früher. Unseren elektronischen Begleitern ergeht es ähnlich: Ihre Lebenszeit hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verkürzt. Mein Vater beeindruckte mich als Kind damit, dass er, studierter Ingenieur, die meisten elektronischen Geräte unserer Familie wieder zum Laufen brachte. Toaster, Fön, Küchenmixer, Moped. Sogar die alte Miele-Geschirrspülmaschine, die, mehrfach zerlegt und wieder instand gesetzt, gut 30 Jahre lang stoisch ihren Dienst versah. Und das, obwohl am Ende einer kühnen Komplettzerlegung zwei mysteriöse Schrauben übriggeblieben waren. Niemand hat sie je vermisst.
Undenkbar in Zeiten der Obsoleszenz, in denen die Wegwerf-Zyklen vor allem der elektronischen Produkte immer kürzer werden. Heute hält ein Geschirrspüler im Schnitt 12,4 Jahre. Ein Flachbildfernseher haucht sein dünnes Leben schon nach nur 4,4 Jahren aus. Notebooks landen inzwischen nach gut fünf Jahren auf dem Müll. Und fast ein Drittel der heute ausgetauschten größeren Haushaltsgeräte hat zum Zeitpunkt der Anschaffung eines neuen Exemplars noch funktioniert.
E-Waste – das am schnellsten wachsende Müllgebirge
E-Waste – das am schnellsten wachsende Müllgebirge
Ein ökologischer Irrsinn. Laut Umweltbundesamt wurden in Deutschland 2017 etwa 836.907 Tonnen Elektroaltgeräte gesammelt. Gut 750.000 Tonnen davon waren Altgeräte aus privaten Haushalten – pro Bürger sind das gut neun Kilo Elektroschrott im Jahr. Der Technikhunger der westlichen Gesellschaften spült die elektronischen Hinterlassenschaften in immer höherer Schlagzahl in die Müllcontainer. Fernseher, deren Bildschirme auf einmal zu kleinformatig wirken, funktionstüchtige Tablets, deren Speichervolumen nicht mehr den modernen Ansprüchen genügt, Smartphones, deren Kameras plötzlich zu wenig Pixel bereithalten.
Wirtschaften wir so unbekümmert weiter wie bisher, rechnen Experten mit jährlich 60 Millionen Tonnen Elektroschrott im Jahr 2025. Das entspricht dem Gewicht von 290.000 New Yorker Freiheitsstatuen. Damit ist E-Waste das am schnellsten wachsende Müllgebirge der Welt.
Und der nächste technologische Quantensprung steht schon vor der Tür: „Ich glaube, die Menschen machen sich keine Vorstellung vom Ausmaß des Übergangs von 4G zu 5G“, sagt John Shegerian, Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender des kalifornischen E-Müll-Recycling-Giganten ERI – dem weltgrößten Recycler von Elektronik- und IT-Abfällen mit Hauptsitz in Kalifornien. „Dies wird größer sein als der Übergang von analog zu digital.“ Eine ganze Generation an elektronischen Gadgets wird dann plötzlich nicht mehr up to date sein. Auch wenn die neue Technologie „abwärtskompatibel“ ist und sich mit 4G (LTE) verträgt, sind damit sämtliche 3G-Smartphones endgültig aus dem Rennen. Alle großen Hersteller planen 5G-Modelle, die ihre Vorläufer in Rente schicken. Weil die neue Gigabit-Technologie es ermöglicht, Daten binnen einer Millisekunde von einem Gerät zum anderen schicken – und zwar 1000-mal größere Datenmengen als beim schnellsten Mobilfunkstandard LTE – sind leistungsstärkere Rechner, andere Speicherlösungen und jede Menge neuer Hardware nötig.
Das neue grüne Bewusstsein aus ökonomischer Vernunft
Das neue grüne Bewusstsein aus ökonomischer Vernunft
So unnachhaltig all das sein mag, es öffnet neue Marktchancen für die Wiederverwertung – und langfristig für mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Ressourcen. Dass der Müll von heute der Rohstoff von morgen ist, etabliert sich im Bewusstsein der Wirtschaftstreiber.
„Große Unternehmen und Branchenführer erkennen zunehmend, dass das Recycling von Elektroschrott nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für das Business ist“, so ERI-Chef John Shegerian. Seine Firma ist das beste Beispiel dafür. Als Shegerian sein Unternehmen 2002 gründete, musste er vielen Kunden die Notwendigkeit von Recycling noch erklären. Heute zählen Tech-Riesen wie Sony, Samsung oder Staples zu den Hauptkunden der monströsen Schredder- und Sortieranlagen von ERI. Shegerian spricht auf internationalen Kongressen und wirbt für einen neuen, wertschätzenden Umgang mit Elektro-Abfällen. Die Rückgewinnung und Weiterverwertung von Rohstoffen aus elektronischen Geräten sind sein Herzensthema geworden.
Damit ist er Teil einer zukunftsgerichteten Bewegung, die immer mehr Marktteilnehmer erfasst und innovative Technologien für einen nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen einsetzt. Oft weniger aus grüner Motivation denn in dem neuen Bewusstsein, dass fehlende Nachhaltigkeit ein wachsendes ökonomisches Risiko darstellt. Als Nation von passionierten Mülltrennern steht Deutschland in Sachen Recycling nicht schlecht da.„Die Verwertung und das Recycling bewegen sich auf einem sehr hohen Niveau“, bestätigt Axel Strobelt, Experte für Produktverantwortung beim Umweltbundesamt (UBA). Die Quoten für die Verwertung und die Vorbereitung zur Wiederverwendung und Recycling, welche die sogenannte Elektroaltgeräterichtlinie der EU (WEEE-Richtlinie) vorgibt, würden „deutlich“ eingehalten. Auch bei den Recycling-Technologien von Elektroschrott sind europäische Ingenieure sehr findig. „Vor allem im Batterie-Recycling ist viel in Bewegung“, urteilt Marcel Weil, Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltige Energietechnologien am ITAS, beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Die Daniel Duesenfelds aus Niedersachsen
Die Daniel Duesenfelds aus Niedersachsen
Im niedersächsischen Örtchen Wendeburg zum Beispiel. In einer lichten Fabrikhalle stehen Mitarbeiter der jungen Firma Duesenfeld an einem Montageband und zerlegen die angelieferten Batterie-Packs aus Elektrofahrzeugen bis auf das Modulniveau. Gehäuse werden herkömmlich recycelt, die zuvor entladenen Module landen in einem Schredder, wo sie unter Vakuum- oder Stickstoffatmosphäre zu einem graustaubigen Granulat gemahlen werden – mit Anteilen an Kupfer, Lithium, Kobalt und Aluminium. Ein Großteil der Elektrolyt-Lösungsmittel wird sodann über ein patentiertes Kondensationsverfahren extrahiert. „Wir sind der einzige Anbieter, der in der Lage ist, Lösungsmittel zurück zu gewinnen“, erklärt Duesenfeld-Geschäftsführer Prof. Tobias Elwert.
Über verschiedene Siebe, Magnete und Wirbelstromscheider werden Aluminium, Eisen und Kupfer aus dem verbleibenden Schredder-Granulat gefiltert. Übrig bleibt ein Staub, der noch immer reich an Wertstoffen ist: Er birgt Graphit, Mangan, Nickel, Kobalt und Lithium. Der letzte und wohl innovativste Schritt geschieht im Duesenfeld-Labor. In einem hydrometallurgischen Verfahren werden aus dem verbliebenen Granulat über eine Art Säurebad Graphit, Mangan, Nickel, Kobalt und Lithium extrahiert – letzteres so rein, dass es wieder in einer Batterie eingesetzt werden kann. Derzeit erreicht Duesenfeld auf Batteriesystemebene eine stoffliche Verwertungsquote von 85 Prozent. Gut 90 Prozent sind das Ziel.
„Das ist ambitioniert“, konzediert Elwert. „Aber es ist machbar.“Bis 2025 werde pures, recyceltes Lithium ein neuer Standard sein, ist der Ingenieur überzeugt.„Im Moment mangelt es in Europa an recycelbaren Batterien, der Markt ist noch zu klein.“
Und die gängigen Recycling-Verfahren sind ebenso energieintensiv wie ökologisch bedenklich. Bei konventionellem Recycling werden Lithium-Ionen Batterien eingeschmolzen und die Metalle Kobalt, Nickel und Kupfer über einen längeren Reaktionszeitraum erhitzt. Dabei entstehen toxische gasförmige Fluorverbindungen, die im Anschluss aufwändig aus dem Abgas gezogen werden müssen. Giftige Nebenprodukte des Recyclings werden als Baustoffe in aufgegebenen Bergwerkschächten endgelagert. Dieser konventionelle Wiederaufbereitungs-Prozess setzt mehr CO2 frei als die primäre Produktion einer Batterie.
Gerüstet für eine Million E-Autos im Jahr 2025
Gerüstet für eine Million E-Autos im Jahr 2025
Das Duesenfeld-Recycling verzichtet auf Erhitzung – und damit auf die Entstehung giftiger Nebenprodukte. „Wir verbrauchen 70 Prozent weniger Energie und produzieren 40 Prozent weniger CO2 als konventionelle thermische Verfahren“, so Elwert. Pro Tonne recycelter Batterien spare man bis zu drei Tonnen CO2 im Vergleich zur Neugewinnung der Materialien aus primären Quellen.
3000 Tonnen Batterien verarbeitet das Unternehmen derzeit pro Jahr. Für Elwert ist das erst der Anfang. „Wir wollen dafür gerüstet sein, wenn es Millionen Elektroautos in Europa gibt.“ Bis dahin will seine Firma, die mit allen großen Automobil-Herstellern im Gespräch ist, dezentrale Schredder-Anlagen etabliert haben, um, so Elwert, die entzündlichen Batterien „direkt vor Ort bei den Kunden entschärfen zu können.“ Den ersten entsprechenden Container gibt es schon. Weitere sollen folgen – plus eine große metallurgische Aufbereitungsanlage. „Das Marktpotential ist groß und mit höheren Kapazitäten werden auch die Recycling-Kosten sinken“, sagt Duesenfeld-Ingenieur Elwert. Und ergänzt mit einem Lächeln: „Das Schöne am Recycling ist, dass man einen Zeitpuffer hat.“
Den gilt es zu nutzen – idealerweise für zukunftstaugliche Innovationen. Das Biotech-Unternehmen BRAIN im südhessischen Zwingenberg tut das. Im Keller der Firma lagert in stickstoffgekühlten Tanks ein Schatz, der über die Jahre aus unterschiedlichsten Lebensräumen zusammengetragen worden ist, aus heißen Quellen, marinen Proben, Salzseen, Termitenmägen, Böden aller Art und Bohrkernen. Eine der weltgrößten industriellen Sammlungen von Mikroorganismen – mehr als 53.000 verschiedene. Die Bakterien sind winzig klein, sie mögen es kalt, minus 80 Grad, viele stammen aus den Eingeweiden der Erde, wo sie ein paar Millionen Jahre überstanden haben.
Bakterien, die Gold aus Handyschrott fischen
Bakterien, die Gold aus Handyschrott fischen
Einige von ihnen stehen nun neuerdings im Dienst der Elektro-Recyclings. Der von BRAIN patentierte Organismus namens Pseuomonas metallosolvens BR11571 ist zum Beispiel ein echter Goldjunge. Aus dem mehlfeinen Schredder-Staub von vormaligen Elektrobauteilen wie Handys, Halbleitern oder Festplatten fischt das Bakterium mikroskopisch kleine Goldpartikel, die sonst einfach auf dem Müll landen würden. Und das höchst umweltfreundlich.
In 300-Liter-Bottichen wird dazu eine Schrottwasserlauge angesetzt und das heldenhafte Bakterium BR11571 zugefügt, das zuvor in Fermentationsbehältern gezüchtet wurde. Der Mikroorganismus bindet bei Raumtemperatur an die Goldpartikel und löst diese binnen 16-72 Stunden auf. Das gelöste Gold kann dann einfach abgetrennt werden. „Etwa 90 Prozent des Goldes können wir so zurückgewinnen“, erklärt BRAIN-Biochemikerin Esther Gabor. „Auf nachhaltige Weise und zu kompetitiven Kosten.“
Aus einer Tonne Elektro-Abfall fischen die Goldfänger von BRAIN bis zu 100 Gramm reines Gold, bei vorsortierten Leiterplatten sind es sogar bis zu 300 Gramm. Aktuell suchen die BRAINer unter anderem nach Bakterien, die gut an die Batterie-Metalle Lithium und Kobalt binden. „Unser Ziel ist, Edelmetalle eines Tages komplett über Bioverfahren recyceln zu können“,erklärt Programm-Managerin Gabor, die bei BRAIN die Technologieentwicklung im Bereich “Green & Urban Mining" leitet. Seit kurzem bieten die Biotech-Tüftler ihre bakteriellen Recycling-Söldner auch als mobile Einsatztruppe an: Im sogenannten BioXtractor werden die Elektroschrott-Suppen vor Ort in einem Container angerührt und die Goldpartikel rausgelöst.
Ähnliches ist auch für Edelmetalle wie Platin, Silber oder Palladium denkbar. „Wir testen auch andere Abfallströme, etwa die Asche aus Müllverbrennungsanlagen, und sind in Verhandlung für eine industrielle Pilotanlage“, so Gabor. Green Mining auf der Basis von Biotech sieht sie als Game-Changer auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft.„Unsere Rohstoffe sind endlich, das gilt auch für Edelmetalle. Wir sollten aufhören, sie als Abfall zu behandeln.“
Kampagne für mehr Wert(stoff)schätzung
Kampagne für mehr Wert(stoff)schätzung
Das sieht man auch im Umweltbundesamt so. „Gerade seltene und kritische Metalle aus Elektroaltgeräten wie etwa Neodym, Indium oder Gallium spielen in der Elektrotechnik eine zunehmend bedeutende Rolle“, sagt UBA-Experte Axel Strobelt. „Ihr Recycling muss noch stärker gefördert werden.“ Mit Sorge beobachtet man im Umweltbundesamt, das lose lithiumhaltige Batterien oder lithiumbatteriebetriebene Altgeräte immer noch im Hausmüll oder anderen falschen Entsorgungspfaden landen – und später Brände in Abfallsortier- und Recyclinganlagen von Entsorgern verursachen. „Durch steigende Absatzmengen von batteriebetriebenen Elektrogeräten wird sich dieses Problem verstärken“, argwöhnt Strobelt.
Eine kürzlich von Geräte-Herstellern und der Stiftung „ear“ initiierte Öffentlichkeitsarbeitskampagne namens „Plan-E“ (e-schrott-entsorgen.org) will Konsumenten über den Umgang und die Entsorgung von Elektroaltgeräten aufklären. Damit sollen auch die illegalen Entsorgungswege blockiert werden. Denn nach wie vor landen jährlich rund 1,3 Mio. Tonnen E-Schrott auf illegalem Weg in Ländern wie China oder afrikanischen Staaten wie Nigeria und Ghana, wo die Altgeräte gewinnbringend zerlegt und der Rest zumeist verbrannt wird – zu Lasten der Umwelt und der Gesundheit der dort lebenden Menschen.
Ab 2019 gilt gemäß der europäischen WEEE-Richtlinie (Waste of Electrical and Electronic Equipment Richtlinie) eine erhöhte Sammelquote von 65 Prozent für Elektroschrott. „Um diese zu erreichen, bedarf es noch weiterer Anstrengungen“, so Strobelt vom UBA. Die jüngste Erfindung des Recycling-Spezialisten Tomra könnte zumindest die Sortenreinheit der Müllströme erhöhen. Der norwegische Groß-Hersteller von Recycling-Kapazitäten (6000 Anlagen in 80 Ländern) präsentierte kürzlich eine Sortiermaschine, die Müllströme mittels Sensoren und einer auf Deep-Learning basierenden Künstlichen Intelligenz sortiert.
Die erste Version der intelligenten Technologie namens „GAIN“, wurde mit tausenden von Bildern auf das Erkennen von Silikon-Kartuschen aus Polyethylen (PE) trainiert und erzielte eine Reinheitsquote von 99 Prozent, wenn zwei Systeme in Folge genutzt werden. „Diese Technologie lässt sich auch auf andere Anwendungsgebiete wie etwa E-Waste übertragen, wenn sich Objekte basierend auf Form und Textur vom restlichen Strom unterscheiden“, sagt Daniel Bender, Technical Manager Deep Learning für Tomra in Deutschland.
Einheitliche Batterie-Standards für Elektro-Autos
Einheitliche Batterie-Standards für Elektro-Autos
Freilich lassen sich genormte Silikonkartuschen leichter sortieren als die höchst diversen Batterie-Versionen im Bereich der Elektro-Mobilität, wo jeder Automobil-Hersteller andere Typen und Konfigurationen verbaut. „Das hindert uns, die Kreisläufe für kostbare Komponenten wie Lithium und Kobalt zu schließen – also 100 Prozent zu recyceln“, bemerkt Prof. Josef Stoll, Associated Partner bei MHP und dort mit dem Thema „Second Life of Batteries“ beschäftigt. Als langjähriger Gutachter für Entsorgungsbetriebe und Teilhaber einer Batteriefabrik kennt Stoll den Batteriemarkt und Recycling-Sektor wie wenige andere. Er beklagt fehlende Informationen, Standards und somit die mangelnde Zerlegbarkeit von Batterien, deren Komponenten zumeist verklebt und damit nicht austauschbar sind.
„Wir brauchen hier eindeutige Regularien und eine bessere Modularität“, so Stoll. „Dann könnten Batterien länger im Einsatz bleiben.“Weil jeder Automobil-Hersteller seine eigene Batterie-Technik verfolgt, sind die Akkus derzeit nur mit hohem Aufwand weiter zu verwerten.
Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft
Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft
Ob das gelingt? Der Mainzer Gründer Patrick Peter glaubt fest daran. Mit der von ihm gegründeten digitalen Plattform „Circunomics“ will Peter das Recycling von Batterien datenbasiert beschleunigen und den Handel mit Second-Life-Batterien ermöglichen. Der Plan: Von jedem Batterie-Typ wird ein digitaler Zwilling angelegt, der Auskunft über Bauart, Akku-Leistung, enthaltene Rohstoffe sowie mögliche Zweitanwendungsfälle gibt. Auf Basis der anonymisierten Daten kann ein lernender Algorithmus die verbleibende Kapazität prognostizieren – und damit den Wert des Speichermediums in seinem zweiten Leben – etwa als Notstromspeicher in Wohnungen. Über die Database von Circunomics, der ersten offenen Batterie-Börse, sollen Automobil-Hersteller ihre Batterien an Second-Life-Abnehmer oder Recycler weitervertreiben können.
„Alt-Batterien sind kein Abfallprodukt, sondern ein Wertgegenstand“, proklamiert Peter. „Wir sollten sie handeln wie Aktien.“
Voraussetzung dafür ist allerdings ein einheitlicher und vergleichbarer Datenstandard – eine Art Batterie-Pass. „In China ist diese Datentransparenz vorgeschrieben – dort liegt die Recyclingquote bei E-Mobil-Batterien bei mehr als 80 Prozent“, so Peter. In Europa ist man davon noch weit entfernt. Doch das Bewusstsein wandelt sich. Gemeinsam mit dem Recycling-Unternehmen Umicore entwickelt etwa Audi derzeit einen geschlossenen Kreislauf für das Recycling von Hochvoltbatterien. Besonders wertvolle Komponenten sollen dabei von einer Rohstoffbank abrufbar sein. Circunomics-Chef Peter möchte schon nächstes Jahr mit dem Batteriehandel beginnen. Das weltweite Marktvolumen beziffert er auf knapp neun Milliarden Dollar im Jahr 2025. „Die Nachfrage nach Batteriespeicherkapazität steigt derzeit jährlich um gut 30 Prozent. Das macht den Kauf von Second-Life-Batterien immer interessanter“, prognostiziert Peter. Bedingung freilich ist, dass Hochvolt-Batterien für ihre zweite Existenz gewappnet sind. Im Moment liegt der Fokus auf dem Bestehen funktioneller Herausforderungen im ersten Leben.
Design for Recycling
Design for Recycling
Das Aachener Unternehmen PEM Motion, eine auf E-Mobility spezialisierte Ausgründung des Lehrstuhls PEM der RWTH Aachen, der von Prof. Kampker geleitet wird, unterzieht Auto-Batterien verschiedener Hersteller im sogenannten Battery Abuse Center (BAC) einem anspruchsvollen Härtetest. Abuse klingt nach Gewalt – und das ist durchaus so gemeint. Hinter panzerschweren Türen werden Nägel in die Batterien gebohrt, sibirische Minus-Grade simuliert oder die Akkus unter Schock- oder Vibration gesetzt. „Auch Second Life Batterien müssen diesen Tests standhalten“, sagt Sarah Fluchs, Bereichsleiterin für Remanufacturing bei PEM Motion. „Wir würden uns wünschen, dass der Aspekt der Wiederverwertung stärker in die Entwicklung einbezogen wird und es entsprechende Standards für Batterie-Designs gibt.“
Noch ist das Zukunftsmusik. Aber die Initiativen mehren sich. „Einige Hersteller versuchen Nachhaltigkeit stärker zu integrieren“, berichtet KIT-Experte Marcel Weil. Zu ihnen zählt der schwedische Batterie-Gigant Northvolt. Die von einem ehemaligen Tesla-Manager geleitete Firma will sich ab diesem Jahr sogar selbst dem Recycling widmen. Eine große Recycling-Anlage in Skellefteå, dem Standort der Batteriezellenfabrik, soll jährlich etwa 25.000 Tonnen Batteriezellen recyceln. Bis 2030 will der Batteriehersteller die Hälfte des Materials in neuen Zellen über sein Recycling-Programm namens „Revolt“ gewinnen. Auch die Batterie-Experten von PEM forschen – gemeinsam mit der Universität Aachen – an Verfahren, bei denen Batteriekomponenten so verbaut werden, dass eine Wiederverwertung möglich ist. Eine wichtige Rolle spielen dabei unter anderem die Schrauben. „Wenn man Schrauben anstelle von Verklebungen verwendet, ist die Demontage bedeutend leichter – damit steigt der Refurbish-Wert einer Batterie um ein Vielfaches“, weiß Remanufacturing-Expertin Fluchs.Die guten alten Schrauben. Manchmal vermissen wir sie doch.
Fazit
FAZIT
Die immer höher aufragenden Müllberge stellen uns vor neue Herausforderungen – gerade im Bereich Elektroschrott, dem am schnellsten wachsenden Müll-Segment. Doch es bewegt sich was. Hochinnovative Recycling-Technologien – viele davon aus Deutschland – markieren eine neue Wertschätzung im Umgang mit Rohstoffen. Datenbasierte Plattformen werden schon bald den Handel mit Recycling-Produkten und das Remanufacturing erleichtern. Der Ausbau der Elektromobilität erhöht den Innovationsdruck – auf Recycler ebenso wie auf Hersteller. Design for Recycling ermöglicht somit einen Wettbewerbsvorteil. Nicht nur wegen steigender Rohstoffpreise, sondern aus Motiven der Nachhaltigkeit, an denen sich Unternehmen künftig vor allem messen lassen müssen. Hersteller, die Recycling schon bei der Produkt-Entwicklung berücksichtigen, haben die besseren Argumente. Das gilt insbesondere für die Hochvolt-Batterien für E-Automobile. Durch nachhaltigkeitsorientierte Standards lassen sich Recycling-Potentiale besser ausschöpfen – zum Wohl aller Beteiligten und der Umwelt.
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Text:
Barbara Esser