Kooperation statt Kommando
Lesezeit: ca. 7 MinutenKooperation statt KommandoIn der Führungskultur vollzieht sich eine stille Revolution. An der Spitze zu stehen bedeutet heute vor allem: Werte vermitteln, Vertrauen aufbauen, Verständnis zeigen – und wecken. Eine sinnstiftende, motivierende Unternehmenskultur gilt als die Führungstechnik der Zukunft. Doch wie kann sie gelingen? Und wie kann Leadership trotzdem weiterhin für Stabilität sorgen? Ein Ausblick.
Im Management von Amazon haben sie eine einfache Regel: die Two-Pizza-Regel. Sie besagt, dass Teams nur so groß sein dürfen, dass sie von zwei amerikanischen Pizzen satt werden. In der Regel heißt das: sechs bis zehn Leute. So will der Weltkonzern mit aktuell 1,1 Millionen Beschäftigten beweglich bleiben wie ein Streetscooter – und nicht träge werden wie ein Vierzigtonner.
„Die Two-Pizza-Regel unterstützt die Agilität, Eigenverantwortung und unsere Innovationskultur“,
„Das Team ist vollständig autonom und wird von einer Führungsperson geleitet, die mit den Kollegen kooperativ zusammenarbeitet“, berichtet Bürg. „Die Two-Pizza-Regel macht uns schnell, sie übergibt Verantwortung an die Teammitglieder und motiviert sie.“
Biete kreative Freiräume.
Biete kreative Freiräume.
Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotik erledigen in Unternehmen immer mehr monotone Tätigkeiten. In vernetzten Welten und virtuellen Konferenzen entstehen zugleich neue Freiräume für kreatives und kollaboratives Denken und Arbeiten. Die Corona-Pandemie beschleunigt diese Trends noch einmal.
Digitalisierung und Vernetzung von Wirtschaftsprozessen machen Abläufe für ihre Nutzer damit zwar einfacher, treiben aber zugleich die Komplexität der Arbeitswelt immer weiter voran. Sie stellen dabei nicht nur alte Routinen und Strukturen auf den Kopf, sondern auch autoritäre Leit-Kulturen auf den Prüfstand.
Tatsächlich beginnen Konzerne bereits, hierarchische Führungsmuster zu hinterfragen, Wände einzureißen und dem Wort von Sony-Gründer Morita Akio zu folgen:„Eine Firma wird nirgendwo hinkommen, wenn alles Denken dem Management überlassen wird.“
Zugleich betreten Digital Natives die Bühne, die in virtuellen Welten und Apps denken, flexibel und vernetzt agieren. Führung in agilen Unternehmen erfordert daher ein Umdenken im Management: Weg von Kommando und Kontrolle, hin zu Kooperation, Kreativität und Coworking.
Höre zu, entscheide dann.
Höre zu, entscheide dann.
Befehl und Gehorsam waren vorgestern, Empathie und Austausch gehören die Zukunft. Nachwuchstalente folgen heute weniger bedingungslos den Vorgaben und Masterplänen erfahrener Leitfiguren. Sie wollen auch wissen: warum? Sie wollen mit ihren Ideen gehört werden. Und sie treten selbstbewusster auf, weil kluge Köpfe rarer werden. Wenn es ihnen nicht mehr gefällt, gehen sie eben woanders hin.
Eine Führungskraft muss deshalb mehr denn je verstehen, was junge Menschen wollen, sie in Entscheidungen einbeziehen und coachen. „Die Gestaltung einer motivierenden und sinnstiftenden Unternehmenskultur ist die Führungstechnik der Zukunft“, sagt Liz Mohn, die Leitfigur der Bertelsmann-Stiftung.
Und AWS-Manager Klaus Bürg sagt voraus: „Inspiration und Kommunikation sind Kernsäulen zukünftiger Führung. Wenn eine Organisation auf die Frage nach dem Warum keine Antwort findet, wird es für sie Konsequenzen haben.“
Achte das Gemeinwohl.
Achte das Gemeinwohl.
Timo Meynhardt ist Inhaber des Dr.Arend Oetker Lehrstuhls für Wirtschaftspsychologie und Führung an der renommierten Leipziger Management-Hochschule HHL. Der Professor erstellt mit seinem Team den Gemeinwohlatlas, der den gesellschaftlichen Nutzen von Organisationen in Deutschland und in der Schweiz abbildet. Für Meynhardt ist klar:Setzte traditionelle Führung in erster Linie auf Gewinnentwicklung, Ergebniskontrolle und Maximierung des Aktienwertes, müsse sie in komplexen digitalen Geschäftsfeldern auch an gemeinwohlorientierten Werten arbeiten und Fragen zu Nachhaltigkeit, Lebensqualität und Fairness beantworten: nicht nur für die Aktionäre, sondern ebenso für Mitarbeiter, Partner, Kunden und die Gesellschaft.
Gute Unternehmensführung mache sich nicht mehr allein an Effizienz fest, sie müsse auch fragen: Verfolgen wir einen übergeordneten Zweck? Handeln wir verantwortungsvoll? „Purpose ist kein Gutmenschentum“, sagt Meynhardt. „Purpose ist die Basis für Profit.“ Ein Unternehmen könne es sich nicht mehr leisten, auf Gemeinwohlorientierung zu verzichten. Mit ihr gewinne, binde und motiviere man zugleich talentierte Mitarbeiter.
Sei sozialer Netzwerker.
Sei sozialer Netzwerker.
Ein nachvollziehbarer Unternehmenszweck legitimiert zugleich die Macht von Führungskräften und gibt ihr einen Sinn. Doch sie bedeutet laut Meynhardt zukünftig vor allem: Mehr zuhören als reden, Vertrauen schenken, Verantwortung delegieren, Respekt und Wertschätzung für geleistete Erfolge zollen.
Der Forscher ist bei seinen Studien auf ein Paradoxon gestoßen: „Je mehr uns neue Technologien aus der Hand zu nehmen scheinen, umso mehr Sozialkompetenz ist gefordert.“ Wenn Teams etwa in WhatsApp-Gruppen und Videokonferenzen eben noch Vereinbartes wieder über den Haufen werfen, müsse eine Führungskraft Ruhe und Souveränität bewahren.
Sorge für Orientierung und Stabilität.
Sorge für Orientierung und Stabilität.
Ein Umdenken in der Führungskultur heißt aber nicht, alle Werte und Tugenden über Bord zu werfen. Managerinnen und Manager müssen auch in Zukunft Leading und Engaging beherrschen. „Gerade in Zeiten, in denen Arbeit stärker räumlich verteilt und remote stattfindet, sind die Sicherstellung von Orientierung und Stabilität zentrale Führungsaufgaben“, sagt Marc Zimmermann, einer der beiden Geschäftsführer von MHP.
Die Management- und IT-Beratung zählt mittlerweile mehr als 2.800 Beschäftigte, die wenigsten von ihnen arbeiten seit dem Ausbruch der Pandemie noch im Büro. Die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Kolleginnen und Kollegen werden dabei deutlich spürbar.
Führe heterogene Teams.
Führe heterogene Teams.
Hinzu kommt: Gegenüber der Babyboomer-Generation, die noch die Führungsriegen dominiert, haben sich die Werte und Erwartungen der „Generation Y“ nicht nur verändert – auch die Individualität der einzelnen Lebensmodelle hat zugenommen.
Ein starkes Team mit unterschiedlichen Profilen gleicht zudem individuelle Schwächen am besten aus. Das Fundament einer guten Führungskraft seien dabei klare Leadership-Prinzipien und Werte. „Sie schützen uns davor“, sagt Zimmermann, „unglaubwürdig und unberechenbar zu sein. Sie tragen zur Akzeptanz im Team bei und sind das stabile Element in einer sich rasant verändernden Welt.“
„Live in more than one world”.
„Live in more than one world”.
Gemeinwohl-Forscher Meynhardt sieht das ähnlich: „Nichts ist schlimmer“, sagt er, „als Führungskräfte, die ihre Rolle nicht annehmen und keine Rollenklarheit schaffen.“ Die Frage ist nur: Wie soll er aussehen, der neue Leader-Typ? Wer schafft den Spagat zwischen Effizienz und Empathie, Leadership und Leidenschaft?
Führung braucht heute Menschen, die breiter und umfassender gebildet sind als nur in ihrem speziellen Fachgebiet – und die eine hohe Reflexionskompetenz mitbringen“, sagt Meynhardt.
Widerlege deine Überzeugungen.
Widerlege deine Überzeugungen.
Doch auch eine Führung der Achtsamkeit benötigt Charismatiker, die inspirieren, die ungeahnte Wege aufzeigen und Mut machen für Innovationen.
„Führungspersönlichkeiten haben oft Recht“, schreibt Bezos in den 14 Führungsprinzipien. „Und sie arbeiten immer daran, ihre Überzeugungen zu widerlegen.“
Fazit
Fazit: Arbeitsabläufe und Wirtschaftsprozesse werden in der Digitalisierung vernetzter, komplexer und schneller. Gleichzeitig steigen die Anforderungen junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Work-Life-Balance. Innovation und Wachstum hängen deshalb mehr denn je von einer motivierenden, sinnstiftenden Führungskultur ab.
Wer sich jetzt nicht bewegt, verliert. Denn der Wandel ist kein falsch verstandenes Gutmenschentum, sondern purer Eigennutz. „Unternehmen müssen schon deshalb humaner, emotionaler, sinnorientierter werden“, sagt der renommierte Leadership-Trainer Wolfgang Jenewein, „weil sie andernfalls nicht überleben werden.“
Homo Digitalis
Wie wir morgen arbeiten, denken und unsere Welt sehen werden.
Erst formen wir unsere Technologien, dann formen sie uns. Je tiefer die Digitalisierung unser Leben durchdringt, umso mehr verlangt sie veränderte Fähigkeiten von uns. Als Homo Digitalis werden wir ganz neue Möglichkeiten erhalten, aber auch Kompetenzen brauchen, die unser analoger Vorfahr nicht benötigte.
Wenn aus Werten Taten werden
Jedes Unternehmen hat heute einen Wertekodex. Doch wie werden sie gelebt? Welche Werte werden uns in die nächste Dekade tragen? Und wie verändern sie sich gerade? Die – längst nicht überwundene – Corona-Krise hat die Wertegelübde der Unternehmen einem Stresstest unterzogen. Und bewiesen, dass Werte viel mehr sind als ein Kodex, sondern zentraler Resilienzfaktor.
Sven Heitkamp
Sven Heitkamp, freier Reporter und Texter aus Leipzig. Entdeckt, was
Startups Neues tun und lernt, wie Großunternehmen ticken. Recherchiert
Gesellschaftstrends und Familiengeschichten. Schreibt für die Sächsische
Zeitung, brand eins und Focus Spezial, für Öko-Test, das Porsche
Consulting-Magazin und andere Unternehmens-Publikationen.