Goodbye Routine, Willkommen Krise!
Lesezeit: ca. 20 Minuten Goodbye Routine, Willkommen Krisenmodus!Weshalb der Ausnahmezustand in Wirklichkeit das neue Normal ist. Und wie man ihn für sich nutzen kann.
Intro
Im Jahre 1992 veröffentlichte Francis Fukuyama ein Buch, das auch deshalb zum Bestseller wurde, weil es vom Anbruch eines goldenen Zeitalters zu künden schien. In „Das Ende der Geschichte“ vertrat der US-Politikwissenschaftler die verlockende These, nach dem Ende von Ostblock und Kaltem Krieg würden sich Liberalismus, Demokratie und Marktwirtschaft jetzt weltweit durchsetzen. Auf eine knappe Formel gebracht, lautete seine Prognose: Ende gut, alles gut.
Es kam, wie wir wissen, ganz anders. Nach 09/11, Krieg gegen den Terrorismus und Immobilienblase, Schuldenkrise und COVID-19 scheint es vielmehr, als seien Crashs und Krisen zu unseren treuen Begleitern geworden. Eine höchst unbequeme Aussicht. Denn Notsituationen sind für uns wie Zahnarztbesuche: unbeliebt, unangenehm, aber leider irgendwie unausweichlich. Insolvenzverwalter und Krisenmanager einmal ausgenommen, dürfte es nur wenige geben, die Krisen zu schätzen wissen.Blickt man jedoch genauer hin, entpuppen sie sich als hochwirksame Katalysatoren. Im Krisenmodus lassen sich Verkrustungen aufbrechen, Routinen in Frage stellen und der Wandel von Organisationen wie auch Individuen enorm beschleunigen. Mit einer Krise im Nacken sind plötzlich Veränderungen möglich, die im Normalbetrieb noch undenkbar schienen.
Die Frage ist nur: Wie kann uns das gelingen? Hier kommen sieben Strategien, mit denen Individuen wie auch Organisationen die nächste Krise gewinnbringend nutzen können.
Lass‘ Dich nicht überraschen
Erstens Lass‘ Dich nicht überraschen
Schaut man nüchtern zurück, gleicht unsere Geschichte einer losen Abfolge von Krisen und Katastrophen, die von mehr oder weniger kurzen Phasen der trügerischen Ruhe und Gleichförmigkeit unterbrochen werden. Anders gesagt: krisenhafte Situationen sind in Wirklichkeit eher Regel als Ausnahme. „Schwarze Schwäne“ hat der Investmentbanker Nassim Nicholas Taleb diese großen, irregulären Ereignisse getauft, deren Existenz wir geflissentlich zu ignorieren suchen. Was höchst verständlich ist, verfügen sie doch über die unangenehme Eigenschaft, persönliche Pläne wie unternehmerische Strategien rücksichtslos zu durchkreuzen. Wenn wir uns jedoch beharrlich einreden, es gäbe nur weiße Exemplare, erwischt uns das Auftauchen jedes schwarzen Schwans immer wieder aufs Neue böse. Besser ist es, Überraschungen als Teil der persönlichen beziehungsweise organisationalen Strategie zu antizipieren.
Entspanne Dich
ZweitensEntspanne Dich
Für die menschliche Psyche ist derartige Krisenakzeptanz eine ziemlich ungewohnte Übung. „Unser Verstand wirkt darauf hin, Geschichte in etwas Glatt-Lineares zu verwandeln, daher unterschätzen wir die Rolle des Zufalls“, weiß Taleb. „Wenn wir damit konfrontiert sind, befällt uns Angst und es kommt zu Überreaktionen.“ Schuld sind ein paar archaische Grundmuster, die nach wie vor unseren Umgang mit Unbekanntem bestimmen. Laut Ortwin Renn, Risikoforscher am Potsdamer Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung, kennt der Mensch drei typische Reaktionen auf Risiken: Fliehen, Kämpfen oder Sich-Totstellen und hoffen, dass alles irgendwie vorübergeht. Die Kunst sei, sich zunächst selbst besser einzuschätzen, herauszufinden, zu welchem archaischen Typen man zählt – und dann die persönlichen Verhaltensmuster zu hinterfragen. „In einem zweiten Schritt sollte man ermitteln, wie man sich im Rahmen seines Typus angemessen verhalten kann.“
Wer sich von (bösen) Überraschungen nicht aus der Bahn werfen lassen will, muss sich und sein Unternehmen also zunächst auf sie einstellen. Sich bewusst machen, dass nicht jede Krise gleich eine Katastrophe ist. Ausnahmesituationen zu antizipieren, heißt, von ihnen zu profitieren – oder zumindest die Bereitschaft dafür zu entwickeln.
Misstraue Prognosen (vor allem den dramatischen)
DrittensMisstraue Prognosen (vor allem den dramatischen)
„Nichts bleibt, wie es war.“Dieser Satz fällt früher oder später in jeder tief greifenden Krise. Denn zusammen mit den unvermeidlichen Horrorszenarien verbreitet sich in der Öffentlichkeit bald die Vorahnung, die Welt, wie wir sie kennen, würde unweigerlich in sich zusammenfallen. Massenarbeitslosigkeit, weltweite Depression, Aufstieg der Populisten und bevorstehender Zusammenbruch unserer Gesellschaftsordnung: All das wurde auch in der Corona-Krise wieder vorhergesagt. „In den sozialen Medien wird schon von einer zweiten Pest gesprochen, das ist völlig irrsinnig“, kritisierte Risikoforscher Renn. Sicher an diesen tiefschwarzen Voraussagen ist nur, dass auch sie sich so nicht erfüllen werden. Das eint sie mit ähnlichen Untergangsszenarien, die in dunklen Stunden stets Hochkonjunktur erleben.
Im Finanzkrisen-Frühjahr 2009 beispielsweise verkündete das „Time“-Magazin offiziell das „Ende aller Exzesse“. Die Rezession habe alles verändert, orakelte der Kolumnist des Magazins, „die Party ist definitiv vorbei.“ Einen „Wendepunkt bei den amerikanischen Verbrauchern“ konstatierte auch Mark Zandi, Chefökonom der Ratingagentur Moody’s. Der Automobilhersteller General Motors stellte angesichts derart düsterer Aussichten kurzerhand seine Produktion von Geländewagen ein. „Der Ölpreis verändert das Verbraucherverhalten rapide“, prognostizierte GM’s Vorstandsvorsitzender, „wir glauben, dass es kein temporärer Effekt, sondern dauerhaft ist.“ Nüchternere Stimmen gingen dagegen unter. Das deutsche Wirtschaftsmagazin „brand eins“ beispielsweise erschien im November 2008 mit der Coverzeile „Keine Panik – auch das ist wieder nicht das Ende“. Und genauso war es. Wenig später setzte der längste Börsenboom der jüngeren Vergangenheit ein, die Konsumparty begann erst richtig und mit ihr auch der Aufstieg der SUVs. Mittlerweile sind die PS-starken Geländewagen das weltweit wichtigste Fahrzeugsegment. Und auch General Motors produziert mit seiner Marke GMC wieder welche.
Leiste Dir Redundanzen
ViertensLeiste Dir Redundanzen
Der Mensch besitzt zwei Nieren, daher kann er weiterleben, selbst wenn eine ausfallen sollte. Ohnehin ist die Natur so eingerichtet, dass jede Epidemie, jede Dürreperiode und jeder Brand sie stärker machen. Sie organisiert sich „antifragil“, wie Nassim Nicholas Taleb es nennen würde, indem sie Redundanzen vorhält, die im Notfall helfen.
In unseren Unternehmen hingegen agieren wir so, als gäbe es Notsituationen gar nicht. Firmen und Prozesse werden auf maximale Effizienz getrimmt, sogenannte „Fettpolster“ abgeschmolzen und Prozesse so lange verschlankt, bis sie reibungslos laufen. Ein Fehler, meint der Organisationssoziologe Stefan Kühl,„denn in Krisen werden die Kosten dieser Rationalisierung deutlich: Da fehlt es an Zwischenlagern, um Ersatzteile schnell liefern zu können, Krankenbetten stehen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung und Personal zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung wird knapp.“
Gleiches gelte für eng gekoppelte Wertschöpfungsketten: da reicht der Ausfall einer einzigen Fabrik in Fernost, um ganze globale Fertigungsprozesse auseinanderzureißen.In der Krise werde dann „hektisch versucht, die Folgen dieser fehlenden Puffer abzufedern und ohne Blick auf die Kosten zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren“, meint Kühl. Wie viel klüger wäre es, diese Puffer ausreichend vorzuhalten, auch wenn sie im Normalbetrieb leicht verschwenderisch wirken?
Nutze das Momentum
FünftensNutze das Momentum
Digitaler Unterricht für Hunderttausende von Schülern. Die Aufhebung fester Arbeitszeiten und Anwesenheitsregelungen. Abschied von überkommenen Hierarchien. Flexible Arbeitsmodelle und komplette Belegschaften, die auf Home Office und Remote Working wechselten: Kein noch so kraftvolles Change-Programm hätte je jenen gewaltigen Veränderungsschub bewirken können, den das Coronavirus quasi im Handumdrehen schaffte. „Die Krise ist immer ein Abbild der Komplexität im Zeitraffer“, sagt Sabine Kluge, Organisationsberaterin und Leiterin Führungskräfteentwicklung bei der Deutschen Bahn, „das gilt auch für Organisationen, die bislang noch gar kein klares Bild von ihrer Komplexität hatten.“
In der Krise bliebe Unternehmen gar keine andere Wahl, als effizienter zu lernen und Veränderungen schneller umzusetzen. Plötzlich würden Neuerungen akzeptiert, die vorgestern noch Betriebs- und Personalrat auf die Barrikaden getrieben hätten. Kluge berichtet von ihren Erfahrungen in einer deutschen Großbank, in der während der Corona-Krise vermeintlich eherne Abteilungsgrenzen, Hierarchiegerangel und Kompetenz-Claims über Nacht verschwanden. „Dort, wo sich Führungskräfte früher hinter „Meine Kostenstelle, meine Ressource, mein Königreich“ verstecken konnten, arbeiteten die Funktionsbereiche jetzt nahtlos zusammen – der Notmodus zwang sie einfach dazu.“ Denn die Krise ist der Moment, in dem auch der hartleibigste Bedenkenträger akzeptieren muss, dass business as usual keine Option mehr ist. Für Veränderungswillige ist sie daher die goldene Stunde.
Bewahre den Wandel
SechstensBewahre den Wandel
Wie aber geht es weiter, wenn die Krise verraucht ist?„Die durch Corona initiierte Krise löst alte Wirkungsbeziehungen auf, die immer komplex sind und sich daher nicht einfach „wieder hochfahren“ lassen“,konstatieren Forscher des Frankfurter Zukunftsinstituts. Eine Ausnahmesituation ist wie ein Experimentierfeld, in dem sich unter Laborbedingungen neue Arbeitsformen erproben, iterieren und etablieren lassen. Die Frage ist nur, wie es weitergeht, wenn die Organisation wieder in ruhigere Fahrwässer gleitet.
„Die Kunst wird jetzt darin bestehen, die Erkenntnisse und Errungenschaften ins neue Normal hinüberzuretten“, meint Organisationsberaterin Kluge. Häufig sind bereits erste Erfolge der in der Krise erprobten Arbeitsmodi und Strukturen sichtbar – wer einmal flexibles Arbeiten über Abteilungsgrenzen und jenseits starrer Arbeitszeitregelungen erlebt hat, wird so schnell nicht zum alten Trott zurückkehren wollen. Die Krise kann so zum Transformationsturbo, der Krisenmodus zur Blaupause für agileres, selbstbestimmteres Arbeiten werden.Aus dem „New Normal“ wird für ein Unternehmen und seine Mitarbeiter ein post-krisenhaftes „Better Normal“.
Bleibe beweglich
SiebtensBleibe beweglich
Wo Märkte in Bewegung geraten, tun sich immer auch Marktlücken auf. Nutzen kann sie nur, wer angesichts einer Krise nicht in Schockstarre verfällt, sondern beweglicher agiert als vorher.„So eine Gelegenheit wie jetzt kommt nicht so schnell wieder“, frohlockte beispielsweise Ernst Prost, Geschäftsführer von Liqui Moly, mit Blick auf die Corona-Pandemie.Das letzte Mal habe der Schmiermittelhersteller unter dem Eindruck der Finanzkrise zur Attacke geblasen, dabei enorm Boden gutgemacht und sich an etlichen Konkurrenten vorbeigeschoben. Jetzt sei es wieder so weit. Der Grund: „Im Normalbetrieb sind unsere Chancen, gleichzeitig an mehreren Abschnitten dieser Verkaufsfront durchzubrechen und Boden gutzumachen, nicht halb so gut wie jetzt in der Krise.“
Für viele Firmen führt der Weg aus der Krise zunächst über pragmatische Anpassungen ihres Geschäftsmodells. Die Betreiber des Flugportals Flyla beispielsweise nutzten ihre Vermittlungskompetenz, um in der Corona-Krise statt Flügen (die niemand brauchte) Landwirten Erntehelfer (die händeringend gesucht wurden) zu vermitteln. Hoteliers vermieteten ihre leerstehenden Zimmer an Remote Worker, denen es zu Hause zu eng oder zu fad geworden war. Modemarken wie Trigema stellten auf die Produktion von Schutzkleidung um. Das ist, klar, keine Geschäftsstrategie. Aber es ist ein neuer Anfang in einer Zeit, in der nichts zu gehen scheint.
Merke: Krisenzeiten sind Zeiten, in denen Karten neu gemischt werden. Für kluge Spieler sind sie die Konstellation, in der sie ihre Trümpfe ausspielen. Und zwar selbst solche, mit denen sie unter Normalbedingungen keinen Stich machen würden.
Fazit
Fazit
„Krisen sind Chancen – in Arbeitskleidung“, heißt es vom Fondsmanager Gottfried Heller, dem Partner des legendären André Kostolany. Tatsächlich gibt es keinen anderen Moment im Leben von Unternehmen und Individuen, der derartige Kräfte freizusetzen und Dinge in Bewegung zu setzen vermag – schon allein deshalb, weil es plötzlich viel riskanter wäre, nichts zu tun. Dabei muss man sie aber zunächst einmal als Chance einzuschätzen bereit sein – was ähnlich herausfordernd ist, als würde man einen Sprung ins eiskalte Wasser als hervorragende Gelegenheit sehen wollen, die eigene Gesundheit zu überprüfen. Was, bei Lichte betrachtet, absolut zutreffend ist.
Krisenmanagement ist daher zunächst einmal eine Denksportsaufgabe im Sinne Max Frischs. „Die Krise“, wusste der Architekt und Schriftsteller, „ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
Scrollen, um weiterzulesen
Wischen, um weiterzulesen
Wischen, um Text einzublenden
Goodbye Routine, Willkommen Krisenmodus!
Im Jahre 1992 veröffentlichte Francis Fukuyama ein Buch, das auch deshalb zum Bestseller wurde, weil es vom Anbruch eines goldenen Zeitalters zu künden schien. In „Das Ende der Geschichte“ vertrat der US-Politikwissenschaftler die verlockende These, nach dem Ende von Ostblock und Kaltem Krieg würden sich Liberalismus, Demokratie und Marktwirtschaft jetzt weltweit durchsetzen. Auf eine knappe Formel gebracht, lautete seine Prognose: Ende gut, alles gut.
Die Frage ist nur: Wie kann uns das gelingen? Hier kommen sieben Strategien, mit denen Individuen wie auch Organisationen die nächste Krise gewinnbringend nutzen können.
Lass‘ Dich nicht überraschen
Entspanne Dich
Misstraue Prognosen
„Nichts bleibt, wie es war.“
Leiste Dir Redundanzen
Der Mensch besitzt zwei Nieren, daher kann er weiterleben, selbst wenn eine ausfallen sollte. Ohnehin ist die Natur so eingerichtet, dass jede Epidemie, jede Dürreperiode und jeder Brand sie stärker machen. Sie organisiert sich „antifragil“, wie Nassim Nicholas Taleb es nennen würde, indem sie Redundanzen vorhält, die im Notfall helfen.
„denn in Krisen werden die Kosten dieser Rationalisierung deutlich: Da fehlt es an Zwischenlagern, um Ersatzteile schnell liefern zu können, Krankenbetten stehen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung und Personal zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung wird knapp.“
Nutze das Momentum
„Die Krise ist immer ein Abbild der Komplexität im Zeitraffer“, sagt Sabine Kluge, Organisationsberaterin und Leiterin Führungskräfteentwicklung bei der Deutschen Bahn, „das gilt auch für Organisationen, die bislang noch gar kein klares Bild von ihrer Komplexität hatten.“
Bewahre den Wandel
„Die durch Corona initiierte Krise löst alte Wirkungsbeziehungen auf, die immer komplex sind und sich daher nicht einfach „wieder hochfahren“ lassen“,
Aus dem „New Normal“ wird für ein Unternehmen und seine Mitarbeiter ein post-krisenhaftes „Better Normal“.
Bleibe beweglich
„So eine Gelegenheit wie jetzt kommt nicht so schnell wieder“, frohlockte beispielsweise Ernst Prost, Geschäftsführer von Liqui Moly, mit Blick auf die Corona-Pandemie.
Merke: Krisenzeiten sind Zeiten, in denen Karten neu gemischt werden. Für kluge Spieler sind sie die Konstellation, in der sie ihre Trümpfe ausspielen. Und zwar selbst solche, mit denen sie unter Normalbedingungen keinen Stich machen würden.
Fazit
„Krisen sind Chancen – in Arbeitskleidung“, heißt es vom Fondsmanager Gottfried Heller, dem Partner des legendären André Kostolany.
Krisenmanagement ist daher zunächst einmal eine Denksportsaufgabe im Sinne Max Frischs. „Die Krise“, wusste der Architekt und Schriftsteller, „ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
