Join the Metavolution
Lesezeit ca.10 Min. Join the MetavolutionDas Metaverse wird unsere Internetgewohnheiten umkrempeln wie die Erfindung des Handys unsere Kommunikation. Das versprechen Prognosen. Wir werden uns als Avatare in der virtuellen Welt begegnen, statt uns nur auf Bildkacheln zu sehen. Wir werden uns digitale Markenprodukte kaufen, um unsere Online-Identität zu stylen. Und wir werden über Kontinente hinweg gemeinsam an Projekten arbeiten, als säßen wir im selben Großraumbüro. Versprechen einer Zukunft mit neuen Milliardenumsätzen – oder bloße Fiktion?
Vor der Schulung kommt das Styling: Anzug oder T-Shirt? Rock oder Jeans? Blonde Haare oder die ehrlichen grauen Strähnen? Auf dem Weg ins 3-D-Learnspace müssen Besucher zuerst ihren eigenen Avatar gestalten. Doch schon die ersten Klicks werfen heikle Fragen auf:Darf meine Online-Gestalt ganz anders aussehen als ich selbst – oder muss sie mir möglichst ähneln, weil man in der virtuellen Welt auf Kollegen und Kunden trifft, die man auch im Real Life kennt?Denn genau das ist das revolutionär Neue am Metaverse: Es lässt die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt verschwimmen.
Das digitale Schulungsgebäude der WBS Akademie, ein führendes Weiterbildungsinstitut und Vorreiter im Bereich Transformation des Lernens, gibt einen Vorgeschmack auf das Metaverse, das vor uns liegt: Zwischen Seminarräumen, Vortragssälen und Auditorium samt Mediawalls bietet das Haus Arbeitsplätze mit Mediatheken, Café-Lounges und eine sonnige Dachterrasse mit Aussicht auf grüne Weiden und schneebedeckte Hügel. Sogar Vögel zwitschern. Durch die Gänge der Akademie schlendern Seminarteilnehmer selbstständig als Avatar per Pfeiltastatur, absolvieren Coachings, Schulungen und Trainings. Sie treffen Kollegen in kleiner Runde, statt sich bei Teams oder Zoom wie Fische aus Bildkacheln heraus anzustarren. „Willkommen in der virtuellen Welt“, sagt eine Stimme aus dem Off. „Schön, dass Sie da sind!“
Digital simulierte Akademien wie die der Firma TriCat mögen heute noch exotisch anmuten, doch es werden immer mehr.Internationale Unternehmen wie Porsche und Audi haben bereits komplette, immersive 3D-Lern- und Arbeitswelten für die Fortbildung und Qualifizierung ihrer Mitarbeiter errichten lassen.Diese wurden nach dem Vorbild realer Schulungszentren entwickelt wie digitale Zwillinge im Netz – im Corporate Design und in 13 Sprachen.
Science-Fiction wird Wirklichkeit
Science-Fiction wird WirklichkeitDas Internet ist einmal mehr dabei, sich neu zu erfinden. Und dies nicht erst, seit Mark Zuckerberg im Herbst 2021 den Facebook-Konzern in „Meta“ umbenannt und damit seinen Führungsanspruch für diese neue Dimension des Internets reklamiert hat. Seit Jahren zaubern Onlinespiele wie Second Life und Fortnite ein pralles Parallelleben auf die Bildschirme.
Sie sind Vorreiter des Metaverse – einer Onlinewelt, die Menschen und Objekte in begehbaren 3D-Räumen auf neue Weisen verbindet und neue Milliardenmärkte schafft.Schon 1992 von Science-Fiction-Autor Neal Stephenson erträumt, gilt das „Metaverse“ heute als zukünftiger Innovationstreiber, der ganze Wirtschaftsbranchen umkrempeln und neue Medien, Produkte, Handelsideen, Bezahlsysteme und Umgangsformen entstehen lassen wird.
Schon 2023 könnte das Marktvolumen mit Produkten und Services im Paralleluniversum laut Bloomberg Intelligence 800 Milliarden Dollar erreichen. Das kanadische Forschungsunternehmen Emergen Research prognostiziert den Wert des globalen Metaverse-E-Markts im Jahr 2030 sogar auf bis zu 1,6 Billionen Dollar – bei jährlichen Zuwachsraten von 43 Prozent.Aber: Was ist das Metaverse überhaupt? Welche Chancen tun sich da auf?
Das große Versprechen
Das große VersprechenMatthew Ball, amerikanischer Theoretiker, Risikokapitalgeber und Visionär, definiert das Metaverse als fortdauerndes Netzwerk virtueller 3D-Welten, das als Tor zu Online-Erfahrungen dienen und große Bereiche der physischen Welt ergänzen wird.
Doch für Thorsten Hennig-Thurau, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Münster,gibt es das eine Metaverse genauso wenig, wie es nur das eine Internet gibt.„Ob es je ein Makro-Metaverse als Vision eines vollständig verknüpften Universums geben wird, in dem Nutzer von einer Welt zur nächsten springen, ist völlig unklar“, sagt Hennig-Thurau. Allerdings existieren bereits heute zahllose Mikro-Metaversen, die über viele voneinander getrennte Apps angesteuert werden: Entwickelt werden sie von Vorreitern wie Roblox und Epic Games, Decentraland, Sandbox und Netvrk, den Horizon-Worlds und Workrooms von Facebook, den Mesh-Rooms und dem Altspace von Microsoft.
Hennig-Thurau, der mit seinem Team im eXperimental RealityLab der Uni Münster die Folgen von Virtual- und Augmented-Reality auf Unternehmen und Verbraucher erforscht, geht davon aus, dass die neuen Meta-Welten rasant wachsen und die Wirtschaft zunehmend beeinflussen werden. „Wenn etwas einen Wert für Nutzer generiert, wird es schnell für Unternehmen attraktiv – und dann wird es richtig groß.“ Die Gateways, durch die man tief in diese Welten eintauchen kann, werden dann nicht mehr nur Bildschirm und Tastatur sein, sondern Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Headsets. 3-D-Sound sorgt zusätzlich dafür, Stimmen und Geräusche dem Erleben in der realen Welt anzugleichen. Ein neues Gemeinschafts-Erlebnis entsteht.
„Dinge gemeinsam machen, lautet das große Zukunftsversprechen des Metaverse “, sagt der Wissenschaftler Hennig-Thurau. „Sozialen Nutzen zu stiften, ist der Wesenskern des Metaversums.“ Dagegen sei das zweidimensionale Web2.0 ein sozial armes Medium.Die Herausforderung für Unternehmen liege damit auf der Hand: „Schaffe Welten, in denen sich Menschen begegnen können, und sie werden es zu einem großen Ding machen!“
Der Nike-Konzern hat dies beispielsweise schon verstanden. Er hat auf der Spieleplattform Roblox mit dem „Nikeland“ eine virtuelle Welt erschaffen, in der Spieler nicht nur digitale Sneaker und Accessoires kaufen können, sondern mit Freunden spielen, worauf sie gerade Lust haben. Roblox selbst entwickelt eine Co-Experience-Plattform, die gemeinsame Erlebnisse für Milliarden von Menschen schaffen soll. Schon heute haben drei Viertel der Kinder und Jugendlichen in den USA einen Roblox-Account.
Meetings in der virtuellen Welt
Meetings in der virtuellen WeltDoch die Entwickler wollen längst nicht nur spielen. Metaverse, das heißt künftig auch: berufliche Zusammenarbeit. In Apps wie Meshroom von Microsoft oder Omniverse von Nvidia können sich Teams als Avatare in künstlichen Räumen treffen, an 3D-Modellen von Fahrzeugen, Maschinen und Gebäuden arbeiten, Produkte simulieren und sie Kunden vorab präsentieren, Inspektionen, medizinische Diagnosen und Schulungen in sicherheitsrelevanten Bereichen durchführen – ohne weite Reisen antreten zu müssen.
„Das Metaverse wird zur neuen Schnittstelle in der Arbeitswelt“, sagt Hennig-Thurau. Zwischen der wöchentlichen Sales-Konferenz per Videocall und der Teambuilding-Reise auf die Balearen ist viel Raum für die neue Art der Begegnung.„Um in einem Team Projekte umzusetzen und neue Ideen zu entwickeln, ist es eine echte Alternative. Sie erspart Unternehmen enorm viel Zeit, Kosten und nicht zuletzt CO2-Emissionen.“ Laut einer Gartner-Studie wird bis 2026 ein Viertel der Menschheit jeden Tag mindestens eine Stunde im Metaverse verbringen, um dort zu arbeiten, sich weiterzubilden, einzukaufen, zu spielen und Kontakte zu knüpfen.
Spätestens dann kommen auch Marken ins Spiel. „Für die Zeit im Netz benötigen wir eine oder mehrere Identitäten“, sagt Hennig-Thurau. „Dafür brauchen wir Produkte, egal, ob Sneaker, Schmuck oder andere Gadgets.“ Denn wer im Metaverse auf andere Avatare von Freunden oder Kollegen trifft, fängt schnell an, sich über seinen virtuellen Auftritt Gedanken zu machen.„Es wird bald peinlich, als Standard-Avatar daherzukommen“, sagt Hennig-Thurau. „Darin liegen enorme Marktchancen.“
Milliarden für Luxusmarken
Milliarden für LuxusmarkenInzwischen erwarten immer mehr Konzerne Milliardenumsätze mit so genannten NFT’s – Non-Fungible Token: einmalige digitale Markenprodukte, die auf der Blockchain generiert werden wie Kryptowährungen und nur einem Besitzer gehören. Schon erschaffen illustre Marken Güter, die sich die Nutzer in der realen Welt vielleicht nicht leisten können.
Der Modekonzern Ralph Lauren verkauft in seinem ersten NFT-Store auf Roblox Designerware für Avatare für wenige Dollar. Auch Gucci, Louis Vuitton und Balenciaga verdienen bereits reales Geld mit fälschungssicheren Accessoires aus Bits und Bytes. Porsche Digital entwickelt schon eine eigene Plattform, auf der Original-Porsche-NFTs verkauft werden. Laut einer Studie von Morgan Stanley könnte die Luxusindustrie bald mehr als 50 Milliarden Dollar Umsatz im Metaverse machen.
Parallel dazu findet eine gigantische Landnahme statt: Konzerne investieren viel Geld in digitale Räume, Grundstücke und Immobilien in Welten wie Sandbox, Decentraland, Cryptovoxels and Somnium.Der Umsatz mit Immobilien im Metaverse überstieg nach Schätzungen von Investoren und Analysefirmen 2021 die Grenze von 500 Millionen Dollar und soll sich erneut verdoppeln. „Digitaler Besitz“, sagt MHP-Experte Stephan Baier, „ist eines der Schlüsselelemente des Metaverse.“ Baier ist Associated Partner bei MHP und Experte für immersive Erlebnisse. „Je mehr Ebenen des Dialogs und Austauschs möglich sind, umso mehr werden Unternehmen vom Metaverse profitieren“, sagt Baier voraus.
Das Metaverse sei aber nicht nur ein computergenerierter Ort, an dem Menschen interagieren – sondern auch ein Ort, an dem physische und virtuelle Erfahrungen zusammenkommen. So entwickelt MHP einen Showroom für einen Luxuswagenhersteller auf der 5th Avenue in New York mit einem Virtual Stage: „Wir erweitern den physischen Raum durch eine digitale Dimension und zeigen Automodelle in realer Größe als perfekte 3-D-Illusion“, berichtet der erfahrene Berater. „Die Kunden können das Auto vor sich drehen und nach ihren Wünschen konfigurieren.“ Das Zeitalter des Metaverse markiert für Baier den historischen Moment, in dem das digitale Dasein der Menschen das physische in seiner Bedeutung überholt. „Kein Unternehmen kann es sich heute leisten, den Anschluss im Metaverse zu verpassen. Sei es als neuer Vertriebskanal oder für die komplexe Team-Kollaboration.“
Die Grenzen des Metavers
Die Grenzen des MetaverseNoch sind viele erfolgreiche Metaverse-Welten zweidimensional und wenig immersiv. Doch die Verkaufszahlen von VR-Equipment boomen, der Trend zum hochimmersiven Erlebnis nimmt zu – weil es effektiver und intensiver ist als das klassische Online-Meeting der Pandemiezeit.
„Die Immersion erreicht eine andere Ebene der Kommunikation, man ist mittendrin und bekommt eine starke soziale Präsenz“, sagt Forscher Hennig-Thurau.In einem Vergleich von drei Kontrollgruppen habe sein Team beobachtet, dass hochimmersives Arbeiten mehr Kreativität und positive Emotionen auslöst als andere Formate. Allerdings seien die körperliche Anstrengung und die Erschöpfung ebenfalls größer. Doch dieser Nachteil werde schwinden, je kleiner und feiner die VR-Brillen werden.
Ganz nebenbei hat das Metaverse noch einen ganz anderen Charme: den Serendipity Moment. An öffentlichen Orten im Netz macht man neue, überraschende Entdeckungen und trifft auf unbekannte, interessante Menschen. „Welten zu bauen, die solche zufälligen Glücksmomente schaffen, wird eine wachsende Branche mit großen Umsätzen sein“, sagt Hennig-Thurau. „Das Metaverse wird sich einen Teil unseres Lebens schnappen wie schon Laptop und Handy zuvor.“ Aber es wird niemals alles können:Den perfekten Espresso im Stammcafé und den Waldspaziergang mit Vogelgezwitscher wird auch das Metaverse nicht ersetzen.
Outro
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Sven Heitkamp
Sven Heitkamp, freier Reporter und Texter aus Leipzig. Entdeckt, was Startups Neues tun und lernt, wie Großunternehmen ticken. Recherchiert Gesellschaftstrends und Familiengeschichten.
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