Die Verwandlung
Lesezeit: ca. 15 Minuten Die VerwandlungVom Maschinenbauer zum Softwareentwickler: Wie digitale Technologien die Transformation von Unternehmen vorantreiben.
Das digitale Werkzeug wird mittlerweile von Konzernen und KMUs auf der ganzen Welt genutzt, um Innovationen besser zu verstehen, Geschäftschancen zu nutzen und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Letzten Monat publizierte Delphai zusammen mit dem VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau), mit 3.300 Mitgliedern die größte Netzwerkorganisation des europäischen Maschinen- und Anlagenbaus, eine Studie zum Einsatz von KI im deutschen Maschinenbau. Zentrales Ergebnis: Immer mehr Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau setzen auf Künstliche Intelligenz (KI), um ihre Produkte mit datenbasierten Mehrwerten anzureichern. Damit wird IT-Know-How zum immer relevanteren Wettbewerbs- und Erfolgsfaktor von Deutschlands wichtigster Branche – und zu ihrem stärksten Veränderungstreiber.
Und tatsächlich: „Die Zahl der Stellenausschreibungen, in denen Unternehmen aus dem Maschinenbau Software-Mitarbeiter suchen, hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen“, sagt Tech. Delphai erfasst, analysiert und visualisiert systematisch die Stellenausschreibungen der Maschinenbau-Branche. Und dabei gehe es nicht um System-Administratoren oder Kollegen, die Drucker einrichten, meint Tech. Die ausgeschriebenen Stellen sind hochqualifizierte Jobs: Data-Analysten, Experten für User-Experience, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz. Die Branche baut deutlich ihre IT-Kapazitäten und damit ihr IT-Know-How aus, bilanziert Tech.
Kein Wunder“, meint Stefan Weiss, Partner und Head of Industry Manufacturing der Management- und IT-Beratung MHP, „die Branche befindet sich in einem kompletten Umbruch.“
Standardisierte Schnittstellen haben dafür gesorgt, dass Maschinen, Steuerungs- und Management-Programme heute direkt miteinander kommunizieren. Das Internet-of-Things kennzeichnet jedes Werkstück individuell, macht es trackbar und überwachbar. Eine digital vernetzte Sensorik überwacht einzelne Maschinen, Fertigungsverfahren, Montagesysteme und Handling-Lösungen, also ganze Fertigungslinien, und bildet damit die Basis für sogenannte „Smart Factories“.Stefan Weiss spricht auch vom Konzept bzw. der Vision der „Dark Factory“, also einer Fabrikhalle, in der man keine Beleuchtung mehr brauche, da dort keine operativen Mitarbeiter mehr arbeiten. Gesteuert wird die Produktion dann auch nicht mehr von der Fabrikhalle, vom „Shop Floor“ aus, sondern vom „Top Floor“, von der Operativen- bzw. der Top-Management-Ebene aus. D.h. aber auch, dass sich die dafür notwendigen Berufsbilder und Qualifikationen ändern werden. Diese Konzepte werden letztendlich dazu führen, die Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen, und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern.
Doch nicht nur die internen Prozesse integrieren sich digital. Auch die Maschinen und Anlagen beim Kunden und ihre Performance werden als Teil dieses neuen digitalen Ökosystems permanent überwacht, optimiert und teilen ihre Daten mit den Unternehmens-Systemen.Gibt es kleine Abweichungen, etwa in Laufruhe, der Öltemperatur oder der Zündung, vergleichen die Programme diese Daten mit Daten der Vergangenheit, einer Art digitales Erfahrungswissen. Stellt das Programm fest, dass etwa kleine Unregelmäßigkeiten in der Zündung stets die Vorboten einer Störung waren, trifft es automatisch eine Entscheidung und starten eine Maßnahme: Etwa die, eine neue Zündkerze zu bestellen.
So überwacht etwa Zeppelin CAT, der weltweit größere Vermarkter von Baumaschinen, seine verkauften oder vermieteten Radlader, Schaufelbagger und Planierraupen in Echtzeit und analysiert permanent über ein Dutzend unterschiedliche aktuelle Parameter jeder Maschine. Aus der Analyse sämtlicher Maschinen-Daten der Vergangenheit, mit der man eine künstliche Intelligenz trainiert hat, lässt sich heute bereits drei Tage vorher erkennen, ob eine Maschine ausfallen wird. „Mit diesem Wissen kann man Störungen und Ausfällen vorbeugen“, meint Zeppelin-CAT-Chef Peter Gerstmann. Diese Predictive Maintenance, sagt er, gehöre mittlerweile zum Produktstandard.
Doch Daten werden nicht nur im eigenen digitalen Ökosystem von Firmen und ihrer Produkte verwendet.Denn nicht nur sämtliche digital gesteuerte Funktionen und digitale Managementsysteme wachsen zusammen. Die gesamte Lieferkette eines Produkts – von der Erschließung der Rohstoffe, über die Montage der Komponenten bis zur Entsorgung – kann man sich künftig als unternehmensübergreifenden digital integrierten Prozess vorstellen.So entstehen smarte Ökosysteme, in denen auf Prozess-Ebene die Unternehmensgrenzen langsam verschwinden.
Für diese digital vernetzte Wirtschaft startete Siemens 2018 mit MindSphere ein cloudbasiertes offenes Betriebssystem für das Internet der Dinge. Auf dieser "Plattform as a Service“ (PaaS) können Anwendungen (Apps) und digitale Services entwickelt, betrieben und bereitgestellt werden. Es arbeitet als Integrationsplattform und ermöglicht, Systeme, Maschinen, Anlagen und Produkte zu verbinden. Mithilfe von MindSphere lassen sich Daten analysieren und Prozesse modellieren. Siemens hat damit eine amazon-ähnliche Plattform für die Industrie geschaffen. „Das Business-to-Consumer-Konzept kommt im Business-to-Business-Bereich an“, wertet Robin Tech.
Ein ähnliches Konzept verfolgt Automobilhersteller VW etwa mit seiner zusammen mit Microsoft entwickelten Automotive Cloud und der Industrial Cloud, die in Kooperation mit Amazon Web Services (AWS) entwickelt wurde. „Damit bringen wir unsere beiden großen Domänen in die Cloud – zunächst das vernetzte Fahrzeug und digitale Dienste, nun seine Produktion und Logistik“, erklärt Gerd Walker, Leiter der Konzern-Produktion. Die neue Volkswagen Industrial Cloud solle perspektivisch den globalen Produktionsverbund des Volkswagen Konzerns mit seinen 122 Fertigungsstätten vernetzen. „Die Volkswagen Industrial Cloud führt Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen Fabriken zusammen“, sagt Walker. Dadurch könne man die Prozesse noch besser analysieren – und werden dadurch noch produktiver. Perspektivisch wollen wir auch die globale Lieferkette mit mehr als 30.000 Standorten und 1.500 Partnerunternehmen in die Volkswagen Industrial Cloud integrieren.
IT-Firmen wie etwa Microsoft sind für Maschinenbauer heute keine einfachen Lieferanten mehr“, meint Robin Tech, „es sind strategische Kooperationspartner, die mit über die künftige Wettbewerbsfähigkeit entscheiden.“Auch hier konnte er mit Delphai feststellen, dass immer mehr Maschinenbauer Kooperationen mit IT-Firmen starten und in Tech-Startups investieren: „Die Anzahl der Kooperationen steigt exponentiell“, sagt Tech.
Seine zusammen mit dem VDMA veröffentlichte Studie ergab auch, dass Startup-Firmen als Kooperationspartner eine immer größere Rolle spielen. Insgesamt wurden 825 Startups in 46 Ländern identifiziert, die KI-Lösungen für den Maschinen- und Anlagenbau anbieten. 42 Prozent davon kommen aus Europa – damit übertrumpft der Kontinent in der Anzahl der Gründungen sowohl Nordamerika (33%) als auch Asien (24%). Damit wird deutlich: IT-Know-How ist mittlerweile auch einer der wichtigsten Standortfaktoren.
Wer deshalb nicht nur kooperieren möchte, gründet gleich ein eigenes Startup: So rief etwa der in Friedrichshafen am Bodensee und in München ansässige Zeppelin Konzern bereits 2016 im hippen Berliner Osten das Z-Lap ins Leben: als Innovationslabor, Inkubator und Softwareschmiede. Eines der ersten Produkte der Neugründung war Insite 3.0, eine webbasierte Lösung zur Kontrolle und Steuerung von Personenströmen auf Baustellen. Und getreu dem Motto „Kannibalisiere dich selbst, bevor es andere tun“ entwickelte Z-Lap mit klickrent.de gleich einen herstellerunabhängigen und mittlerweile sehr erfolgreichen Online-Baumaschinenvermieter.
Dass es im Kern um IT-Know-How geht, zeigt auch das Joint Venture „Flex Factory“, das die Porsche AG gemeinsam mit MHP und der Munich Re ins Leben gerufen hat. Es möchte Unternehmen auf ihrem Weg zur Smart Factory begleiten. Die Plattform stellt dafür keine eigenen Produktionsanlagen zur Verfügung. Sie agiert als Berater und Business Enabler, indem sie das für den Aufbau einer flexiblen Produktion benötigte Wissen vermittelt. Kunden aus dem produzierenden Gewerbe sollen mit diesem „Digital Production as a Service“-Konzept befähigt werden, Innovationen und Artikelvarianten schneller und effizienter als im traditionellen Produktionsprozess und mit weniger Kapitaleinsatz umzusetzen – und das speziell für die Fertigung von Kleinserien.
So entstehen im aktuellen Transformationsklima vollkommen neue Geschäftsmodelle: Im Herbst letzten Jahres gab die TRUMPF Gruppe bekannt, zusammen mit der Munich Re Gruppe (Munich Re) ein neuartiges Serviceangebot von Laserschneidmaschinen zu entwickeln. „Unser Pay-per-Part-Modell soll es Kunden in Zukunft ermöglichen, Laservollautomaten von TRUMPF nutzen zu können, ohne diese kaufen oder leasen zu müssen“, sagt Mathias Kammüller, Gruppengeschäftsführer und Chief Digital Officer von TRUMPF. Kunden würden stattdessen für jedes geschnittene Blechteil einen zuvor vereinbarten Preis bezahlen. „Auf diese Weise können sie ihre Produktion deutlich flexibilisieren und dynamischer auf Veränderungen im Marktumfeld reagieren“, so Kammüller. Die Munich Re agiere in diesem Modell als Business Enabler: Sie finanziert die Maschine und trägt damit das Investitionsrisiko. Der IoT-Dienstleister relayr, ein Tochterunternehmen von Munich Re, stellt die benötigten Datenanalysen für das Finanzierungsmodell zur Verfügung.
Mit dieser Partnerschaft werden wir uns so deutlich wie noch nie in neue Geschäftsmodelle vorbewegen“, sagt Mathias Kammüller. „Sie wird ein erster Schritt sein, um unseren Kunden als Alternative zu traditionellen Maschinenkäufen auch Fertigungskapazitäten ohne größere Vorinvestitionen zu ermöglichen.“ Derartige Partnerschaften sind eine zukunftsweisende Antwort auf die Herausforderungen eines zunehmend dynamischer werdenden Marktumfelds.
Diese Antwort ist auch nötig, meint Stefan Weiss:„Neue digitalisierte Geschäftsmodelle wie Equipment-as-a-Service bzw. Pay-per-Part bieten Maschinen- und Industriekomponentenherstellern Chancen für neue Umsatzkanäle. Wenn man zu lange wartet, dann kommen die Technologie-Unternehmen und Tech-Konzerne – und holen sich diesen neuen digitalen Maschinenmarkt.
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Der Wirtschaftsjournalist und Digitalexperte blickt auf eine langjährige Erfahrung in leitenden Positionen zurück.