Intro – Alle Macht dem Kunden?
Lesezeit: ca. 20 Min.Alle Macht dem Kunden?Was will der Kunde? Und wie bleibt er loyal? Big Data, künstliche Intelligenz und digitale Technologien erlauben ein nie dagewesenes Wissen über den Kunden. Zugleich verändern Multichannel und E-Commerce die klassische Customer Journey und lassen Kunden schneller abwandern. Loyalität speist sich künftig vor allem aus Erlebnis, Service und radikaler Individualisierung – bis in die Produktionsprozesse hinein.
Diese Reportage ist ein interaktives Leseerlebnis. Treffen Sie ihre persönlichen Entscheidungen und begeben Sie sich auf eine individuelle Customer Journey durch die Inhalte der Reportage.
Tausende von Kontaktpunkten – das Multichannel-Markenerlebnis
Tausende von Kontaktpunkten – das Multichannel-Markenerlebnis
Mit seiner ersten 24h-Niederlassung beschreitet der schwäbische Weltkonzern (weltweit 77.000 Mitarbeiter, Jahresumsatz: 13,62 Milliarden Euro) die nächste Stufe einer Marketing- und Vertriebsstruktur, deren ganzes Streben einzig und allein dem Kunden und dessen Bedürfnissen gewidmet ist.
Stefan Schneid, Niederlassungsleiter bei Würth
Die Verschmelzung von On- und Offline
Die Verschmelzung von On- und OfflineDreh- und Angelpunkt der modernen vielgestaltigen Kundenreise ist das Smartphone.
„Damit kann ich mich entlang der gesamten Interaktions-, Transaktions- und Nutzungskette mit der Marke verbinden“,beschreibt es Werner Reinartz, Professor für Retailing und Customer Management an der Universität Köln. „Der erste Call of Duty für Unternehmen wird darum sein, als Kommunikationspartner verfügbar zu sein.“ Idealerweise rund um die Uhr und auf allen Kanälen.
„Die Verschmelzung von Online und Offline hat massive Auswirkungen nicht nur auf das Kundenerlebnis und die Kundenwahrnehmung, sondern auch darauf, wie Unternehmen damit in Zukunft umzugehen haben“, sekundiert Matthias Gouthier, Professor für Marketing und elektronische Dienstleistungen und Direktor des Center for Service Excellence (CSE) an der Universität Koblenz.
„In Zukunft wird es vor allem darauf ankommen, diese Felder bestmöglich zu verknüpfen.“ Die Verzahnung aller Interaktionspunkte entlang der Customer Journey eröffnet mannigfache Chancen. Multichannel bedeute aber auch, „dass Kundenloyalität nicht mehr so verlässlich ist wie einst“, bemerkt Peter Caracciolo, Experte für Customer Experience und Future Automotive Retail bei MHP. „Das erfordert ein Umdenken seitens der Unternehmen. Die Herausforderung wird sein, über all die verschiedenen Kanäle und während der gesamten Customer-Reise eine einheitliche Erlebniswelt zu schaffen, in der sich der Kunde wohl fühlt.“
„In Zukunft wird es vor allem darauf ankommen, diese Felder bestmöglich zu verknüpfen.“ Die Verzahnung aller Interaktionspunkte entlang der Customer Journey eröffnet mannigfache Chancen. Multichannel bedeute aber auch, „dass Kundenloyalität nicht mehr so verlässlich ist wie einst“, bemerkt Peter Caracciolo, Experte für Customer Experience und Future Automotive Retail bei MHP. „Das erfordert ein Umdenken seitens der Unternehmen. Die Herausforderung wird sein, über all die verschiedenen Kanäle und während der gesamten Customer-Reise eine einheitliche Erlebniswelt zu schaffen, in der sich der Kunde wohl fühlt.“
Würth gelingt das augenscheinlich schon ganz gut. Der Direktvertrieb über den Außendienst bleibt – mit weltweit mehr als 33.000 Verkäufern – das Kerngeschäft. Aber die anderen Vertriebskanäle werden immer wichtiger: Tele-Shopping, stationäre Stores, E-Commerce und die Bestellung über die Würth-App, wo Order via „Click & Collect“-Funktion abgesetzt werden und binnen drei Stunden geliefert oder in der nächsten Filiale abgeholt werden können. Die neuen 24-Stunden-Stores vervollständigen die Strategie des omnipräsenten B2B-Partners.
Stefan Schneid, Niederlassungsleiter bei Würth
Eine Reise ohne Ankommen – und ohne Grenzen
Eine Reise ohne Ankommen – und ohne GrenzenDie Kundenreise der Zukunft, sie wird mehr und mehr eine grenzenlose sein. Eher ein Zustand denn eine Fortbewegung von A nach B. Ein System, das Kunden allzeit umgibt, womöglich lebenslang.
„Firmen wie Amazon sind schon jetzt ganz gut darin, ganze Ökosysteme um den Kunden zu bauen“, bemerkt Marketing-Forscher Werner Reinartz. „Sie begleiten den Kunden von morgens bis abends. Beim Einkaufen, beim Essen, bei der Unterhaltung. Das werden wir in Zukunft immer häufiger sehen.“ Eine ähnliche Strategie verfolge etwa der US-amerikanische Tierfutterkonzern Mars Petcare, der sich kürzlich die Tierarztkette Anicura einverleibte und nun bereits 2.000 Tierarztpraxen betreibt. „So kann er das gesamte Ökosystem Haustier für den Kunden anbieten – Tausende Kontaktpunkte inklusive. Die Marke wird gleichsam zum Begleiter in allen Lebenslagen.“
Auch Reinartz bewegt sich mit großer Selbstverständlichkeit in diesen Ökosystemen. Am Vortag war er beruflich in Toulouse unterwegs und ist frühmorgens am Fluss Garonne entlang gejoggt – geleitet von seiner Fitness-App „Runtastic“. Der dynamische Professor ist einer von rund 140 Millionen registrierten Runtastic-Nutzern und ein großer Fan der Runners-App, die der Sportswear-Riese Adidas 2015 für 220 Millionen Euro kaufte. Und natürlich weiß er, dass Adidas mit Technologien wie diesen in den direkten Kontakt mit Millionen von Kunden treten kann – „mit dem Kollateralziel, auch die Transaktion abzudecken, die Bindung an die Marke zu stärken und den Kundenkontakt emotional aufzuladen.“
Auch Wettbewerber Nike zählt mehr als 100 Millionen Nutzer seiner hauseigenen App – und will die Zahl der User bis 2023 verdreifachen.Verglichen mit den herkömmlichen Nike-Kunden kaufen diese auf ihrer Customer Journey mehr und interagieren rege mit der Marke.Und sie hinterlassen bei jeder Aktion eine wertvolle Datenspur.
Erlebnis und Convenience
Erlebnis und ConvenienceUnd dennoch ist Service nicht allein kriegsentscheidend. „Kunden kaufen stationär ein, weil sie Inspiration suchen, aus sozialem Bedürfnis – und weil sie ein Sinnerlebnis wollen“, sagt Customer-Experte Werner Reinartz. „Daran hat sich nichts geändert, und darum bleibt der stationäre Handel relevant.“ Nicht von ungefähr dehnen Online-Riesen wie Amazon ihre digitalen Geschäfte auf analoge Vertriebspfade aus.
In der Münchner Filiale des Outdoor-Händlers Globetrotter steht Claudia Dreibrodt vor einer dick verglasten Kältekammer. Drinnen herrschen Minus 25 Grad Celsius – und es läuft ein Kunde in roter Daunenjacke auf und ab, begleitet von einem ebenfalls warm eingepackten Verkäufer. „Wir verstehen“, sagt Filialmarketing-Managerin Dreibrodt, „unsere Filialen als Anlaufstelle für Outdoor-Begeisterte, in denen die Kunden möglichst viele Produkte testen können.“ Daunenjacken für Extremtemperaturen zum Beispiel. Oder, nebenan in der Höhenkammer, ihre persönliche Fitness bei simulierten 6.000 Höhenmetern. Um Kunden zu binden, setzt der Outdoor-Ausrüster auf persönliche Beratung mit hohem Erlebnisfaktor und kompetentem Service. In jeder der 12 deutschen Filialen – fünf weitere sollen dieses Jahr hinzukommen – finden sich erlebnisaffine Elemente wie Kletterwände, große Wasserbecken, Regenkammern oder „Abenteuertoiletten“ (die ein Ausnahme-WC, etwa in der Transsibirischen Eisenbahn, nachempfinden). Der Münchner Store bietet in einer integrierten Reisepraxis sogar fachliche Beratung von Reisemedizinern, ohne Anmeldung.
Anderthalb bis zwei Stunden verbringen Kunden im Schnitt in dem Outdoor-Tempel, viele reisen von weit her an und widmen den Tag dem Event Einkauf. Warum auch nicht?„Wenn das Erlebnis gut gemacht ist, entsteht ein starker Effekt hin zur Marke und ein positiver Sog im sozialen Umfeld“,beschreibt Customer Experience-Stratege Marek von MHP die Wirkung von innovativen Kundenreisen. „Im Idealfall kommen neue Kontakte und neue Interessenten hinzu.“
Kundendaten – das digitale Öl
Kundendaten – das digitale ÖlKundendaten sind in diesen digitalen Ökosystemen die entscheidenden Treiber.
„Sie werden die Kundenbeziehung in den nächsten Jahren grundlegend verändern und eine nie dagewesene Nähe ermöglichen“,prognostiziert Marketing-Professor Matthias Gouthier. Denn die Daten strömen wie noch nie. Sie fließen aus den markeneigenen Apps und Firmenwebsites, aus den Online-Shopping-Kanälen und sozialen Netzwerken, sie quellen aus den Black Boxen der modernen Autos, von den Plattformen und den Web-Communitys, sie branden aus den unermesslich großen Datenmeeren der Web-Granden wie Google und Amazon – und legen damit das Fundament jeder modernen Customer Journey.
„Gigantisch“ werde diese Info-Flut sein, prognostiziert Parsis Dastani.„Ein Wahnsinn an Information.“Der Frankfurter Data-Scientist sondiert diesen Wahnsinn schon seit geraumer Zeit. Seine Firma Dastani Consulting berät Firmen wie BMW Group, Still, Continental oder den Ökoversandhandel Waschbär bei der Analyse von Kundendaten. Dastani, promovierter Wirtschaftsinformatiker, gilt als Pionier des Big-Data-Analytics-Geschäfts, in das inzwischen auch große Player wie Adobe eingestiegen sind. „Weil die Unternehmen immer mehr Information zu den Konsumenten bekommen, wird die Zahl der Touchpoints in den nächsten Jahren förmlich explodieren“, schwärmt er. „Sie glauben nicht, was jetzt schon alles möglich ist.“
Customizing XXL
Customizing XXLIm neuen New Yorker Flagship-Store von Nike ist das so. Der Laden brummt. Das „House of Innovation 000“ führt vor, wie sich die Customer Journeys im stationären Handel noch radikaler individualisieren lassen.
An der „Sneaker Bar“ können Kunden ihre ganz individuellen Schuhe entwerfen, in allen denkbaren Farben und Mustern, mit individuellen Stickereien, Schnürsenkeln und allem Drum und Dran. Zum Einkaufserlebnis gehört ein Concierge-Service, der beim Finden des Outfits und der passenden Sport-BH-Größe berät. Per App-Click landen die Produkte in einer namentlich reservierten Umkleidekabine. „Wir fragen uns immer, wie ein Geschäft so persönlich, responsiv und schnell sein kann wie ein mobiles Einkaufserlebnis", erklärt Heidi O’Neill, Präsidentin von Nike Direct, den Ego-Shopping-Trip.
Im Vöhringer 24-Stunden-Store der Würth-Gruppe steht Stefan Schneid vor einem großen Holzblock, in den Dutzende großer Messingschrauben hineingebohrt sind.Ein kleines Spielfeld für Handwerker, die den neuen Akkuschrauber aus dem Hause Würth testen wollen.Der Schrauber ist aus den Ideen von Handwerkern entstanden, die sich einen leistungsstärkeren Akku und eine bessere Handlichkeit wünschten. Er verkauft sich wie geschnitten Brot. Und beschert dem Unternehmen neben einem innovativen Bestseller zusätzliche Touchpoints auf der Customer-Reise.
Schon heute fließen Rückmeldungen der Kunden zügig in Produktionsprozesse ein. Auch und gerade in der Automobil-Branche. „Über das Fahrzeug entsteht eine große Menge an Informationen – über Ausstattung, Fehler, Service“, erklärt Olaf Kleindienst, Head of Digital Enterprise bei MHP. „Wenn wir dieses Wissen mit dem Wissen über den Kunden zusammenbringen, können wir das Fahrzeug viel genauer auf dessen Bedürfnisse anpassen. Aus der Analyse entstehen Erkenntnisse, die wir bis in die Abteilungen tragen.“ In der Konsequenz kehren sich die Dynamiken um. „Daten werden zunehmend Prozesse generieren“, prognostiziert Kleindienst. Bisher war es andersrum.
Den Kunden besser kennen als er selbst
Den Kunden besser kennen als er selbstMan glaubt es wirklich kaum. Über Predictive Analytics – also die Vorhersage eines Kundenverhaltens auf Basis seiner persönlichen Daten – könne man schon jetzt sehr zielsicher prognostizieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit etwa ein Kunde bei dem Ökoversandhandel Waschbär das Langarmshirt aus Biobaumwolle oder ein Zirbenkissen bestelle, erklärt Dastani.
Beim sogenannten Customer Profiling identifiziert die Software auf Basis von Daten potenzielle Neukunden. Die Firma Würth setzt dieses Tool seit gut zwei Jahren erfolgreich ein. Predictive Analytics aus dem Hause Dastani ermitteln zum Beispiel das Umsatzpotenzial von Handwerksbetrieben oder Kfz-Werkstätten. Dazu wurden Millionen Webseiten gecrawlt und mehr als eine Milliarde Wörter analysiert, um die für Würth geeignetsten Unternehmen zu identifizieren. Neben dem Data- und Text-Mining fließen bisweilen auch Daten einer Wirtschaftsauskunftsdatei ein. Der Vertriebsmitarbeiter kann über sein Smartphone Adressen von potenziellen Neukunden in der Nähe abrufen. Folgt er diesen Empfehlungen, lässt sich der Umsatz im Neukundengeschäft erheblich steigern.
Stefan Schneid, Niederlassungsleiter bei Würth
Wem gehört der Kunde der Zukunft?
Wem gehört der Kunde der Zukunft?Generell werden sich Gewichtungen weiter verlagern. Das Gesetz, dass ein Kunde ausschließlich mit dem Händler interagiert, hat E-Commerce ohnehin längst aufgeweicht.
„Herstellermarken treten heute sehr viel intensiver und häufiger direkt mit Kunden in Kontakt“,beschreibt Marketing-Experte Reinartz das Phänomen. „Hier passieren gewaltige Verschiebungen, das wird sich verstärken.“ Etwa in der Automobilbranche, wo Hersteller immer häufiger mit dem Endkunden kommunizieren, sei es beim Vertrieb von Ersatzteilen, im Merchandising oder bei der Erweiterung eines Firmen-Fuhrparks. Neue Marktteilnehmer wie Carsharing-Anbieter oder Provider von kommunalen Ladestationen für E-Autos verlagern die Kundenbeziehung immer öfter von B2B zu B2C. Zugleich weichen traditionelle Branchengrenzen auf – Mobilität gestaltet sich immer modularer. Markentreue über die gesamte Customer Journey hinweg aufrechtzuerhalten wird vor diesem Hintergrund nicht einfacher. „Wenn künftig mehr geteilt als besessen wird, definiert sich Markenbindung anders“, bemerkt MHP-Experte Robert Marek. „Loyalty-Management wird darum künftig eine immer wichtigere Rolle spielen.“
Predictive Analytics werden zum Standard
Predictive Analytics werden zum StandardRund zwei Drittel der hiesigen Unternehmen rechnen damit, dass Predictive Analytics in den nächsten drei Jahren wichtig oder sogar sehr wichtig für sie werden, ergab 2018 die Studie „Predictive Analytics“ der Lufthansa Industry Solutions bei 390 Firmen aus der DACH-Region. Bereits 37 Prozent setzten die Tools schon ein. Ebenfalls 37 Prozent der Firmen gaben an, in Analyseverfahren mit künstlicher Intelligenz investieren zu wollen.
Für manchen Datenschützer mag das wie eine Drohung klingen. Obwohl die im Vorjahr erlassene Datenschutz-Grundverordnung DSGVO dem Handel mit personenbezogenen Daten engere Grenzen setzt (sofern der Kunde dies wünscht), sieht man auch beim Bundesbeauftragten für Datenschutz die Notwendigkeit, in bestimmten Bereichen nachzubessern. „Zur Erstellung von Profilen, die dazu genutzt werden, um Menschen zu kategorisieren, bewerten und entsprechend dieser Entscheidungen zu behandeln, gibt es bislang keine hinreichend konkreten Regelungen“, stellt Dirk Hensel, Sprecher des Bundesbeauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit, fest. Gerade im Bereich des Scoring und Profiling werde man sich dafür einsetzen, „eine Änderung der Vorschriften zu erreichen, um die Betroffenen noch besser zu schützen“. Marketing-Professor Werner Reinartz hält die Entwicklung dennoch für unaufhaltsam. „Der gläserne Kunde wird kommen“, sagt er. „Schleichend zwar, aber darauf wird es hinauslaufen. Das ist der Preis für mehr Convenience.“
Taktgeber sind auch hier die rasant aufblühenden neuen Technologien und selbstlernenden Systeme der künstlichen Intelligenz.„Gerade der Teilbereich der Emotional AI, der sich mit dem Sammeln von Daten aus Gesichtern, Stimmen und der Körpersprache beschäftigt, wird im Marketing und Kundenservice verstärkt zum Einsatz kommen“, prophezeit Service-Experte Professor Matthias Gouthier. „Das kann im Callcenter sein oder im Auto, wo eine Kamera und Sensoren eine Stresssituation des Fahrers erkennen und daraufhin die Lichtstimmung im Fahrzeug wärmer gestalten und die Sitzmassage aktivieren.“
Zusätzlich verfeinert wird das Wissen über die Kunden durch die neue Beacon-Technologie. „Sie übermittelt, wo ein Kunde sich gerade im Laden aufhält, vor welchem Regal er steht und gleicht das mit seinen Daten ab“, erklärt Dastani. „So kann man hervorragende, maßgeschneiderte Empfehlungen für den Kunden ausspielen.“ Sogar im Shop. „Stellen Sie sich vor, Sie fahren bei Karstadt die Rolltreppe hoch und neben Ihnen erscheint plötzlich für einen Moment eine Werbung, die ganz exakt auf Sie zugeschnitten ist“, skizziert es Dastani. „Das ist kein Quantensprung. Das wird kommen.“ Kein Kunde werde in ein paar Jahren noch eine allgemein gehaltene Kundenansprache akzeptieren.
Die Grenzen von Big Data
Die Grenzen von Big DataSo verlockend die digitalen Möglichkeiten auf der Customer Journey der Zukunft auch sein mögen – wie segensreich sie am Ende tatsächlich sind, wird sich noch zeigen. Das ebenso sichere wie sinnvolle Management der Datenmassen bleibt die Herkulesaufgabe für Unternehmen.
„Sie müssen eine Infrastruktur aufbauen, um aus dem Datenwissen Handlungsempfehlungen abzuleiten“, sagt Data-Analyst Parsis Dastani. „Das ist alles andere als trivial“. Schon bald werde KI hier komplexe Entscheidungen abnehmen, etwa wie ein Kunde beworben und über welchen Kanal er angesprochen werden solle. „Computer lernen zu agieren und bewerten ihre eigenen Aktionen“, skizziert Dastani.
Datenschutz wird vor diesem Hintergrund nichts an Relevanz einbüßen – im Gegenteil: „In einer Zeit, in der Geschäftsmodelle immer datengetriebener werden, liegt hier das größte Risiko für die Betroffenen“, glaubt Dirk Hensel, Sprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz. „Zum einen, weil sie oftmals gar nicht wissen, dass und wie weit Informationen von ihnen zusammengefasst und ausgewertet werden. Zum anderen, weil sie in vielen Fällen gar keine Möglichkeit haben, dies zu verhindern, wenn sie weiterhin am normalen Leben teilnehmen wollen.“ Aus Sicht der Datenschützer müssen die Anforderungen, unter denen Profile überhaupt erstellt werden können, noch klarer herausgearbeitet und verschärft werden.
Das Zwischenmenschliche darf nicht auf der Strecke bleiben
Das Zwischenmenschliche darf nicht auf der Strecke bleibenJenseits der megadigitalisierten Kundenkenntnis allerdings wird eine Sache weiterhin Bestand haben: die analoge Begegnung mit den Menschen, die eine Marke repräsentieren.
Schließlich sorgt die soziale Interaktion zwischen Mensch und Mensch für eine Form emotionaler Resonanz, die Algorithmen bis auf Weiteres nicht bieten können. Mit anderen Worten, ein authentisches Lächeln kann nicht nur Herzen öffnen, sondern auch Kaufentscheidungen initiieren.
In der Münchner Globetrotter-Filiale steht Filialmarketing-Managerin Dreibrodt vor einer Wand mit Hunderten Fotos von Kunden, die diese bei ihren Reiseerlebnissen in allen Teilen der Welt zeigen. Die Journeys der Customer – hier kann man sie an 4.000 Beispielen betrachten. „Die Loyalität der Kunden gegenüber einem Unternehmen beginnt und endet mit dem Service, dem Umgang und der Einbindung, daran wird sich nichts ändern“, ist Marketing-Managerin Dreibrodt überzeugt. „Bei Globetrotter fühlen sich viele Kunden als Teil einer Community, auch weil wir ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit begegnen.“
Matthias Winkler, Geschäftsführer des Sacher-Hotels, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er prognostiziert eine Aufwertung der Dienstleister und Servicemitarbeiter. „Das Verhältnis zwischen den Kunden und den sie Bedienenden wird auf eine höhere Ebene gestellt“, sagt er. „Auf die höchste, die es geben kann: die persönliche Beziehung.“ Empathie, Freundlichkeit und Anerkennung bilden folglich, auch in der Ära des Onlinehandels, wichtige Impulse für die Kundenreise. Sie schaffen Erlebnisse, aus denen sich Begeisterung ableitet – und langlebige Kundenloyalität.
Hyper-Personalisierung – der Kunde im Mittelpunkt
Hyper-Personalisierung – der Kunde im Mittelpunkt„Hyper-Personalisierung“ nennt Marketing-Forscher Gouthier die kategorische Individualisierung der Kundenreise. „Die Herausforderung wird sein, jeden Touchpoint mit der Marke entsprechend zu individualisieren.
Im Wiener Traditionshotel Sacher können Gäste ihren Aufenthalt demnächst über eine eigene Sacher-App maximal individualisieren. Darf’s ein Kisserl mehr sein auf dem Bett? Das Zimmer mit Blick auf die Oper? In der Minibar den persönlichen Lieblings-Veltliner? „Digitalisierung wird es uns ermöglichen, vor Anreise mit unseren Gästen intensiver in Kontakt zu sein und ihre individuellen Wünsche besser kennenzulernen“, erklärt Hotelchef Matthias Winkler. Das reiche vom favorisierten „Kopfpolstermenü“ bis zur adäquaten Zimmertemperatur oder der Reservierung von Operntickets. „Unsere Gäste entscheiden über die Daten, die uns helfen, den Aufenthalt zu ihrem höchstpersönlichen Aufenthalt zu machen.“
Diese sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Studie Microsoft State of Global Customer Service befragte 2018 weltweit 5000 Kunden nach ihren Erwartungen. 95 Prozent nannten die Servicequalität als entscheidenden Faktor für ihre Produktwahl und Markenloyalität. 59 Prozent der Kunden hatten höhere Erwartungen als noch ein Jahr zuvor. Fast ein Drittel gab an, allein in den letzten Monaten wegen mangelhaften Services zu einer anderen Marke gewechselt zu haben.
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