SPOT ON DÄNEMARK
SPOT ON DÄNEMARK: Wie der kleine Nachbar Deutschlands die digitale Transformation meistertMegatrends wie die Digitalisierung bringen einen ganz erheblichen Wandel der Wirtschaft mit sich: Das Beispiel Dänemark zeigt, wie die Verwaltung eine ganze Gesellschaft digital mitzieht.
1968 arbeiten die Lego-Ingenieure gerade an einem neuen Produkt: dem Duplo-Stein. Das Versandhaus Quelle bietet als neue Errungenschaft die Lieferung von Tiefkühlkost an. In Apollo 8 kreist zum ersten Mal ein Mensch um den Mond. Es scheint eine andere Zeit, in Schwarzweiß-Fotos dokumentiert. Das Wort Digitalisierung kennen nur wenige. Die dänische Regierung legt einen Grundstein der digitalen Transformation: Mit der Einführung des „CPR-Registers“, das die digitale Identifizierung der dänischen Bürger in einem sicheren, öffentlichen Zentralregister ermöglicht, wagt die Verwaltung als eine der ersten in Europa den Schritt in eine digitale Zukunft.
Es wird Jahrzehnte dauern, die darauf basierenden digitalen Prozesse und Strukturen zu etablieren. Heute hat Dänemark den Sprung geschafft: Bereits in der Schule lernen Kinder Roboter zu programmieren, die Mobilfunknetz-Abdeckung liegt bei 99 Prozent, die Steuererklärung wird smart in wenigen Minuten erledigt – und jeder Bürger kann per Mausklick auf seine Gesundheitsdaten zugreifen. Wie haben die Dänen bewältigt, wovon viele Deutsche träumen – und wovor manche sich gruseln?
Wenn die Verwaltung ihre Arme für Ideen öffnetAls es mit der digitalen Transformation noch nicht so weit her war, da standen zwei junge Männer im Rathaus ihrer Gemeinde nahe Kopenhagen, so erzählt es Alex Ramskov Johannsen. Um sie herum warteten Menschen, die einen Ausweis beantragen wollten. Mit dabei hatten die beiden das Konzept für einen Verwaltungskiosk der Zukunft, an dem Bürger ihre Ausweise beantragen können. Nur noch zwei Minuten sollte die Erfassung der biometrischen Daten für den Ausweis dauern, so sagten sie. Ihr Konzept sah vor allem gut aus. Was ihnen fehlte: „Alles, außer dem Design“, sagt Johannsen. Die Gemeinde erkannte, wie gut die Idee war. Und gab den beiden einen Schreibtisch, Zugang zu den Systemen und lud sie ein, vor Ort ihre Idee weiterzuentwickeln. „Wir brauchten ein Jahr für eine erste Lösung“, erinnert sich Johannsen. Ein Jahr, das grundlegend veränderte, auf welchem Weg viele Dänen ihren Ausweis beantragen.
Technologie „Made in Denmark“Heute, zehn Jahre später, ist daraus das Unternehmen Biometric Solutions in Herlev, einem Vorort von Kopenhagen, geworden. Und Johannsen ist der CEO. Das Start-up beschäftigt 23 Mitarbeiter, die Telefonnummer des Chefs steht auf der Website. Biometric Solutions stellt das komplette System der Ausweiskioske her: die Hardware, die Software, den Service. Und auch das Geschäftsmodell ist besonders:
„Wir stellen den Kommunen die Geräte kostenlos zur Verfügung. Die Bürger bezahlen uns dann für das Foto etwa so viel, wie es auch beim Fotografen gekostet hätte“ sagt Firmenchef Johannsen. Dauerte es bisher etwa 15 Minuten, einen Pass zu beantragen, plus zusätzlicher Wartezeit, sei das heute in zwei Minuten erledigt, so Johannsen.
„Die Bürger können alles zu Hause ausfüllen. Und sogar die Gebühren mit unserem Online-Tool bezahlen.“ Aufs Amt zum futuristischen Kiosk müssen sie nur noch für Foto und Fingerabdruck. „Die Abgabe von biometrischen Daten ist ein sehr privater Moment“, sagt er, schließlich teile man seine unverwechselbaren Merkmale mit dem Staat. Das System entstand ohne staatliche Zuschüsse, die einzige Hilfe waren Raum und Zugänge, einfach, weil die öffentliche Verwaltung erkannte, dass von so einer Lösung alle profitieren würden: die Verwaltung, die Bürger und der Haushalt. Die Mitarbeiter erkannten das Einsparpotenzial. Und schickte die beiden Männer mit ihrer Idee nicht einfach nach Hause. Es sind auch kleine Geschichten wie diese, die den Erfolg der digitalen Transformation erklären.
Veränderung, die gut aussiehtBesonders wichtig ist dem Technologieunternehmen nicht etwa eine herausragende technische Kennzahl, sondern das skandinavische Design. „Viele unserer Rathäuser sind von herausragenden Architekten gestaltet. Da muss auch unsere Hardware hineinpassen“, so Johannsen. "Wir werden erfolgreich bleiben, wenn wir Technologie aus der menschlichen Perspektive denken. Mit Vorteilen, Werten und Vertrauen für die Menschen, die sie benutzen.“
Der Weg zum ErfolgDie Digitalisierung kam nicht von selbst. Sie war auch in Dänemark ein schwieriger Weg mit vielen Veränderungen. Bürger und Unternehmen mussten sich verändern, weil der Staat die Richtung vorgab. „Das liegt in unserer Natur. Wir sind sehr klein. Wenn man überleben will, ob als kleines Unternehmen oder als kleines Land, dann muss man agil sein“, sagt Lars Frelle-Petersen. Er war lange Chef der staatlichen Digitalisierungsagentur, bevor er die Seiten wechselte und jetzt Direktor des dänischen Industrieverbands ist. „Die Steuererklärung dauert bei uns für die meisten fünf bis zehn Minuten“, erklärt Frelle-Petersen. Denn die wichtigsten Daten liegen online vor. Kaum ein Däne braucht einen Steuerberater. Dänemark zeigt, wie einfach es der Staat seinen Bürgern machen kann.
Wenn die Steuererklärung zehn Minuten dauertSchon vor 15 Jahren haben die Kommunen mit der dänischen Regierung eine gemeinsame Strategie zur Digitalisierung der Verwaltung ausgearbeitet. Lars Frelle-Petersen sagt: „Wir haben uns gesagt, dass es einfach sein muss, ein Bürger Dänemarks zu sein. Die Menschen haben sich im Privatleben an digitale Services gewöhnt. Warum soll eine Behördendienstleistung nicht genauso einfach digital abzuwickeln sein wie die Bestellung in einem Onlineshop?“ Das digitale Dänemark hat sich über die letzten Jahrzehnte zum EU-weit führenden Land im Bereich der öffentlichen Digitalisierung entwickelt. 90 Prozent der Bevölkerung in Dänemark nutzen beinahe täglich ihre elektronische ID. Bürger haben über das Bürgerportal borger.dk Zugang zu staatlichen Dienstleistungen, Unternehmen über das Unternehmerportal virk.dk, und jeder kann über das Gesundheitsportal sundhed.dk auf seine Gesundheitsdaten zugreifen.
VerpflichtenDänemark liegt beim europäischen Digitalisierungsindex (Desi) auf Platz eins, Deutschland ist dagegen Vierzehnter. Was macht Dänemark anders? „Wir haben die Lösungen verpflichtend gemacht. Und wir haben jedes Jahr große Kampagnen gefahren, um die Idee zu den Bürgern zu bringen, welche Lösungen sie jetzt nutzen müssen“, sagt Frelle-Petersen in geschliffenem Deutsch. „Einer der ersten Schritte war es, die e-Rechnung für Unternehmen verpflichtend zu machen. Und eine Bankverbindung, auf die Rückerstattungen automatisch erstattet werden.“ Das sparte Unternehmen und dem Staat eine gewaltige Summe.
Die digitale Identität ist alltäglichDie Digitalisierung ist tief in der Gesellschaft verankert. Das zeigt sich vor allem an der Easy-ID, wie die Dänen sie nennen. Offiziell heißt sie NemID und funktioniert ähnlich wie das System mit TAN-Blocks beim Online-Banking. Die Identifikation gegenüber Banken, Behörden und Unternehmen nutzen über 4,8 Millionen Dänen. Sie nutzen ihre digitale ID selbst, wenn sie privat ein Sofa verkaufen.
Auch Scheitern akzeptierenDie Stadt Kopenhagen hat gemeinsam mit Hitachi das „City Data Exchange Copenhagen“ aufgebaut, eine Austauschplattform für Datensätze aus der Stadt und Region. Es war ein Vorzeigeprojekt. Doch das Ökosystem aus Anbietern, die die Daten nutzten, entwickelte sich nicht. Mit den Schwierigkeiten ging die Kommune offen um. „Der offene Umgang damit war sehr erfrischend. Davon können sich deutsche Großstädte eine Scheibe abschneiden“, so MHP-Experte Marcus Willand. Willand ist gern in der dänischen Hauptstadt. Er findet es faszinierend, wie mit dem Thema Mobilität umgegangen wird.
Kopenhagen: MobilitätDer konsequente Umbau Kopenhagens zur fahrradfreundlichen Stadt hat nur auf den zweiten Blick etwas mit digitaler Transformation zu tun. „Darin zeigt sich die Entschlossenheit, sich zu verändern“, sagt Marcus Willand. Ob Parkraumbewirtschaftung oder Lastenrad-Sharing: Die Mobilität in der dänischen Hauptstadt ist voll digital organisiert. Die ganze Stadt ist bereit, neue Mobilitätsservices zuzulassen.
Wie digitale Bildung die Voraussetzung für eine Kultur schafft Lange blieb die Schule analog. Das soll sich nun ändern. Zum Beispiel mit Aula, einer groß angelegten digitalen Plattform, die das dänische Softwarehaus Kombit entwickelt: Eltern sollen auf einen Blick alle relevanten Informationen sehen und mit den Lehrern in Kontakt kommen. Auch die älteren Schüler sollen es nutzen und zum Beispiel ihren Lehrern Nachrichten zukommen lassen können. „Wir orientieren uns an der Realität“, sagt Henrik Kirkeskov von Kombit. Er erklärt: „Um zu garantieren, dass Aula das schafft, haben wir alle künftigen Nutzer von Beginn an einbezogen: Eltern, Lehrer, Kinder, aber auch Nachmittagsbetreuer.“ Erst digitale Bildung schafft die Voraussetzung für einen digitalen Kulturwandel.
Wo Gründen einfacher ist als in Berlin „Es ist leicht, ein Unternehmen in Dänemark zu sein. Es ist leicht, ein Unternehmen aufzubauen. Es ist leicht, seiner Berichtspflicht nachzukommen. Die Digitalisierung ist ein Win-Win“, so Lars Frelle-Petersen.„Meine Erfahrungen in der Payment-Branche, alle Transaktionen miteinander zu verknüpfen, gaben den Ausschlag, Pleo zu gründen“, sagt Niccolo Perra vom Start-up Pleo in einem Interview. Sein Mitgründer und er verließen zwei der erfolgreichsten Start-ups Dänemarks, um Pleo ins Leben zu rufen. Sie wollen das Reporting in Unternehmen mit wenigen Klicks erledigen. Frelle-Petersen sagt: „Man könnte es auch auf Deutschland übertragen. Die großen Unternehmen könnten den kleineren bei der digitalen Beschleunigung helfen, indem sie zum Beispiel elektronische Rechnungen akzeptieren.“
Die Tech-PlomatieDigitalisiere dich und rede darüber. Dänemarks Strategie ist, sich auch im Ausland als digitaler Vorreiter bekannt zu machen. Dazu haben die Dänen die Tech-Plomatie erfunden. Dazu gehört, dass dänische Botschaften Beauftragte für die digitale Transformation haben. Und es einen Tech-Botschafter im Silicon Valley gibt. Der Arbeitsinhalt des ersten Tech-Botschafters soll es sein, die Kontakte mit den großen Internetkonzernen zu pflegen.
Strategie 2025: Wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehenDie dänische Regierung hat erkannt, dass die erste Welle der Digitalisierung gebrochen ist. Jetzt hat sie die digitale Wachstumsstrategie bis 2025 mit 134 Millionen Euro ausgestattet. Die Initiative soll vor allem vertikal wirken und Technologien wie künstliche Intelligenz, Robotik und Mobilfunk in den smarten Städten beflügeln. Die digitale Wachstumsstrategie besteht aus 38 konkreten Schritten, um Dänemark als attraktiven Digitalstandort zu festigen. Dazu gehören eine agile Regulierung, damit Unternehmen leichter neue digitale Geschäftsmodelle testen können, eine Matchmaking-Plattform zwischen Talenten und Konzernen ebenso wie eine digitale Lösung, mit der Cyber-Sicherheitsvorfälle gemeldet werden können. Der öffentliche Sektor soll von einer Verwaltung zu einem Service für Bürger und Unternehmen werden.
Erfolgsgeheimnis: gemeinsam handelnDie digitale Transformation in Dänemark: Sie gelingt, weil Kommunen, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft an einem Strang ziehen. Alle haben akzeptiert, dass die Digitalisierung auch den Abbau von Personal in der Verwaltung bedeutet, aber unterm Strich alle von der digitalen Transformation profitieren. Dabei hilft natürlich auch die geringe Größe. Und dass es keinen Föderalismus gibt. „Wir Dänen sind es gewohnt, gemeinsam zu entscheiden“, sagt Lars Frelle-Petersen.
Kann man das dänische Modell auf Deutschland übertragen?„Nein, aber man kann sicher viel aus 15 Jahren Vorsprung in der Digitalisierung lernen und auch von einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit. Das Vertrauen im Umgang mit personenbezogenen Daten durch Institutionen ist bei unseren Nachbarn deutlich ausgeprägter“, so René von Stillfried, Associated Partner bei MHP.
„Die Größe und der Aufbau unseres Landes machen es sehr viel schwieriger. Dänemark wird zentralistisch regiert, Deutschland föderal. Aus Sicht der Bundesländer geht es oft schnell um die ,Zukunft des Föderalismus‘ anstatt darum, die notwendigen Reformen gemeinsam mit dem Bund auf die Straße bzw. in die Klassenzimmer zu bringen, wie zuletzt im Dezember bei der angestrebten Grundgesetzänderung für die dringende Digitalisierung unserer Schulen.“
Handschlag bleibt persönlichGanz perfekt war das System der Bürgeridentifikationsnummern, mit dem die digitale Transformation begann, nicht: Im Jahr 2007 ging der Vorrat an Nummern für Männer, die am 1. Januar 1965 geboren wurden, zu Ende. Das vormals logische System hatte den Faktor der Zuwanderung vernachlässigt. Die Dänen haben es pragmatisch gelöst. Die Männer können jetzt auch Nummern bekommen, die eigentlich für Frauen gedacht waren. Dem Computer ist das schließlich egal.
Doch bei aller digitaler Euphorie bekennen sich die Dänen auch in Staatsangelegenheiten noch zur Interaktion von Mensch zu Mensch. Wer die dänische Staatsbürgerschaft annehmen will, muss das in Zukunft ganz persönlich mit einem Handschlag besiegeln. Das hat das dänische Parlament gerade beschlossen.
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Text:
Jakob Vicari, freier Wissenschaftsjournalist und Erfinder; schreibt Reportagen für Magazine und entwickelt journalistische Prototypen.
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