Mobility-Lift-Off
Text: Steffan Heuer | Lesezeit: ca. 20 Minuten Mobility-Lift-OffPersonal Air Taxis werden in den kommenden Jahren unsere Vorstellung von Mobilität grundlegend verändern und neue Freiräume öffnen.
KAPITEL 2 – Auf dem Boden
KAPITEL 3 – Am Reißbrett
Zukunft in der Luft
KAPITEL 1Zukunft in der Luft
Das weiße, 240 Kilogramm schwere Gefährt hob vom Skydive Margham Center südöstlich der Millionenstadt wie von Geisterhand ab und flog über die Wüstenlandschaft, bevor es wieder selbstständig landete. Wie ein kompakter Kleinwagen bietet das eHang 184 einem Passagier Platz. Leichtes Gepäck lässt sich im Kofferraum verstauen.
Angetrieben wird die Drohne von acht Propellern an vier um die Kabine verteilten Armen. Die Elektromotoren lassen sich nach Angaben des Unternehmens aus Guangzhou in ein bis drei Stunden aufladen und haben um die 40 Kilometer Reichweite – etwa vom Flughafen zu einem Treffen in der Innenstadt. Der Kunde muss denkbar wenig selber tun. Das Air Taxi per App bestellen, warten, bis es landet, und dann auf dem Touchscreen in der Kabine den Zielort bestätigen.
Den Rest vom Start bis zur punktgenauen Landung erledigt der Bord-Computer in Abstimmung mit dem Kontrollzentrum, das bei Problemen jederzeit eingreifen kann. Kein Wunder, dass eHang sein Konzept als „Ökosystem in der Luft“ bezeichnet, mit dem sich kurze Distanzen unerhört schnell und bequem überbrücken lassen, ohne auf der Autobahn festzustecken oder sich im Straßenmeer einer Großstadt zurechtfinden zu müssen.
Im Herbst feierte Dubai die zweite Weltpremiere, als ein Fluggerät der deutschen Neugründung Volocopter zu seinem Testflug abhob. Das weiße – ebenfalls unbemannte – „Urban Air Taxi“ aus Bruchsal stieg vor der Skyline Dubais auf rund 200 Meter Flughöhe, drehte vor dem Luxushotel Burj Khalifa seine Kreise und schwebte dann mit 50 km/h über die staunenden Autofahrer auf der örtlichen Strandpromenade Jumeirah Street hinweg, bevor es fünf Minuten später unter den wachsamen Blicken der versammelten Experten und Vertretern der Dubai Roads and Transport Authority sanft wieder aufsetzte. Das AAT (kurz für Autonomes Air Taxi) bietet zwei Passagieren Platz und wird von insgesamt 18 Propellern angetrieben, die auf einem Kranz oberhalb der Kabine angeordnet sind und ihm rund 35 Kilometer Reichweite geben. „Diese öffentliche Demonstration ist der Beweis dafür, dass der urbane Einsatz des Volocopters möglich ist“, freute sich Firmengründer und CEO Florian Reuter nach der Premiere. „Das Engagement Dubais in diesem Bereich ist weltweit wegweisend und zeigt auch anderen Megacitys die Möglichkeiten, den existierenden Nahverkehr – vor allem an Knotenpunkten – zu ergänzen.“ Die Vereinigten Arabischen Emirate schrieben mit diesen Testflügen nicht nur Luftfahrtgeschichte, sondern wollen dem ehrgeizigen Ziel näher kommen, bis 2030 ein Viertel ihres gesamten Verkehrsaufkommens autonom abzuwickeln.
Jungfernflug des AAT von Volocopter
Zukunft auf dem Boden
KAPITEL 2Zukunft auf dem BodenVolocopter und eHang sind keineswegs die einzigen „Vertical Takeoff & Landing“-Flieger (kurz VTOL), die elektrisch in die Zukunft schweben wollen.
Mindestens ein Dutzend Neugründungen und etablierte Unternehmen in Europa, Amerika und Asien arbeiten mit Hochdruck daran, der persönlichen Mobilität schon im kommenden Jahrzehnt Flügel zu verleihen. Ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit baut auf technischen Erfolgen an mehreren Fronten auf – angefangen bei immer leistungsfähigeren, batteriebeetriebenen Drohnen, die von Amazon bis zur Schweizerischen Post bereits zur Lieferung von Paketen getestet werden. Experten veranschlagen den Markt für die sogenannte Last-Mile-Logistik auf rund 120 Mrd. Dollar im Jahr.
Skycart mit Sitz im kalifornischen San José ist einer der ersten Anbieter, der bereits Lieferdrohnen im Einsatz hat. Mit ihnen kann die Schweizerische Post eilige Waren oder empfindliche Fracht wie Laborproben schnell und verlässlich auch zu schwer erreichbaren Standorten befördern.Das Skycart-System besteht aus einem kompletten Hardware- und Softwarebündel, erklärt Mitgründer und CEO Wrede, das alle Funktionen von der Landung über den Flug bis zur Lieferung autonom managt und obendrein von einer einzelnen Drohne bis zu einem dynamischen Netzwerk von mehreren tausend Fluggeräten skalierbar ist.
Obendrein werden Systeme zur Steuerung autonomer Fahrzeuge auf dem Boden immer präziser und zuverlässiger.
Im November enthüllte das Unternehmen seine Pläne für uberAir. Die Senkrechtstarter sollen 2020 in Los Angeles und einigen anderen Städten wie Dallas und Dubai den Betrieb als Angebot für Pendler aufnehmen. Etablierte Luftfahrt-Unternehmen wie Embraer, Bell Helicopter, Pipistrel, Aurora Flight Sciences und Mooney Aviation steuern Hardware samt Piloten bei, während sich Uber um Logistik-Software und Abrechnung kümmert. Bis zum Start sollen an mehreren Knotenpunkten Landeplätze samt Ladestationen gebaut werden, darunter der Los Angeles International Airport, Downtown L.A., Santa Monica und der Stadtteil Sherman Oaks. In einem zweiten Schritt will Uber autonom fliegende Air Taxis entwickeln.
In München schließlich baut das Startup Lilium an einem Fünfsitzer namens „Lilium Jet“ und hat für dessen Entwicklung von Technologie-Prominenz aus Europa, den USA und China mehr als 90 Millionen Dollar eingesammelt.
Nur einen kann diese fieberhafte Aktivität in aller Welt nicht aus der Ruhe bringen: Paul Moller. Der 80 Jahre alte Erfinder und ehemalige Luftfahrt-Dozent an der University of California arbeitet seit einem halben Jahrhundert an einem Personal Air Taxi. Wer Moller in seinem Firmensitz bei Sacramento besucht, betritt das faszinierende Technik-Museum eines passionierten Tüftlers, zu dessen Errungenschaften viele der jungen Start-ups erst jetzt aufschließen.
Den ersten Test einer überdimensionalen fliegenden Untertasse im Jahr 1967 verfolgten Hunderte von Schaulustigen auf dem Campus der UC Davis, wie sich in vergilbten Artikeln an den Wänden seines Büros nachlesen lässt.Seinen Traum vom Fliegen für Jedermann hat Moller bis heute nicht aufgegeben und nach eigenen Schätzungen mehr als 100 Millionen Dollar investiert– in der Hoffnung, einen finanzstarken Partner zu finden, der ihm dabei hilft, nicht nur Motoren, sondern komplette Fluggeräte zu bauen und auf den Markt zu bringen.
Doch er hat neue Hoffnung geschöpft, dass Air Taxis endlich vor dem Durchbruch stehen. Das liegt am Siegeszug unbemannter Drohnen, die millionenfach umherschwirren, um Kameras, Messgeräte oder neuerdings Fracht zu befördern.Was Moller vorschwebt, um Menschen sicher von A nach B zu bringen, ist allerdings größer und leistungsfähiger – ein ausgewachsenes autonomes Flug-Auto, das auch mittlere Entfernungen von 100 Kilometern oder mehr in Höhen von bis zu 7.500 Metern zurücklegen kann.
Seine Antwort lautet Skycar 400. Das leuchtend rote Gefährt, das in seiner Werkstatt geparkt ist und schon viele Flugstunden absolviert hat, ist so groß wie eine Limousine, fasst vier Passagiere und Gepäck und bringt rund eine Tonne auf die Waage.Mollers Skycar ist auch kein elektrischer Hubschrauber, sondern besitzt Flügel am Heck. Seine Triebwerke lassen sich wie ein klassischer Senkrecht-Starter kippen. Den Schub liefert ein Hybrid-Antrieb aus Wankel- und Elektromotoren. Nur diese Kombination, argumentiert Moller, kann die für Start, Landung und längere Flüge notwendige Energie und das Drehmoment erzeugen. Damit, schwärmt der Erfinder, kann die Menschheit in der Tat abheben.
Wie diese Zukunft realisiert werden soll, rechnet Moller in einem Fachaufsatz vor, den er im Herbst 2017 auf einem Luftfahrtkongress präsentierte.Sein Fazit: Wenn das Wachstum der Luft-Infrastruktur dem historischen Beispiel von Kanälen, Schienennetz und Straßen folgt, werden Air Taxis nur einen kleinen Teil zukünftiger Flugreisen der breiten Öffentlichkeit ausmachen.Um zum Massenphänomen zu werden, müssen fliegende Autos jedoch in der Lage sein, an fast jeder beliebigen Adresse am Straßenrand zu landen anstatt spezielle Taxi-Ports etwa auf einem Hochhaus anzusteuern. „Die Infrastruktur wird entweder um das Jahr 2050 so weit sein, oder wenn fünf Milliarden Nutzer pro Jahr zusammenkommen“, prognostiziert Moller. Mit ersten praktischen, kleinen Anwendungen rechnet er schon viel früher, etwa ab dem Jahr 2022.
Auch wenn sich ihre Konzepte unterscheiden, malen die führenden Köpfe hinter eHang und Volocopter ähnliche Szenarien.
Volocopter-Chef Reuter gibt sich ebenso optimistisch. „Gezielte Punkt-zu-Punkt-Verbindungen werden den Anfang bilden. Das werden Routen sein, auf denen viel Verkehr herrscht und eine Luftverbindung Entlastungen bringt.“ In der entfernten Zukunft, ergänzt Reuter, werde das Air Taxi das „unkomplizierte Leben im Grünen und das Arbeiten in der Großstadt“ ermöglichen – „eine wirklich nachhaltige und attraktive Zukunft.“
Wie viel Potenzial in der autonomen Luftfahrt ohne Piloten steckt, haben Experten der Schweizer Bank UBS in einer Studie vom August 2017 hochgerechnet. Sie erwarten, dass sich mindestens 35 Milliarden Dollar im Jahr an Personalkosten sparen oder durch neue Umsatzmöglichkeiten generieren lassen — von der Fracht bis zum Personenverkehr. „On-Demand Urban Aviation“ ist nur ein Aspekt von vielen, aber sie wird in den kommenden Jahrzehnten zum großen Disruptor werden.
Zukunft am Reissbrett
KAPITEL 3Zukunft am ReissbrettSoweit die Visionen. Bis der erste zahlende Passagier in einem autonomen Fluggerät Platz nimmt, müssen allerdings noch einige technische, rechtliche und soziale Hürden genommen werden.
Da ist einmal das Problem der Schubkraft, Reichweite und Verlässlichkeit des Elektroantriebs in einem Air Taxi. „Batterien für die Luftfahrt müssen beim Verhältnis von Leistung zu Gewicht und Preis noch exponentiell zulegen“, sagt der Trendforscher Paul Saffo, der unter anderem an der Singularity University im Silicon Valley lehrt.„Je mehr Energie ich in eine Zelle hineinpacke, um sie schnell verfügbar zu machen, desto gefährlicher wird sie. Irgendwann sitzt man buchstäblich auf einer Bombe.“
Auch Tüftler Moller warnt vor dem Irrtum, man könne einfach immer größere Drohnen mit mehr Batterien bauen, bis sie Passagiere befördern können.
Ähnlich urteilt Missy Cummins, Leiterin des Labors für „Humans and Autonomy“ an der Duke University. Die Professorin war eine der ersten Frauen, die für die US-Marine einen Kampfjet flog, und forscht heute unter anderem im Auftrag der NASA an Air Taxis.„Für Kurzstreckenflüge haben wir alle technischen Komponenten, die wir brauchen. Das ist keine Zauberei – auch was den Elektroantrieb angeht.“
„Flugzeuge haben aus einem guten Grund Triebwerke – die gute alte Schwerkraft sollte man besser nicht unterschätzen.“
Die Luftfahrt-Expertin mahnt vor allem zwei Dinge vor dem Take-off an. Zum einen fehlt ein rigoroses Testprotokoll, bevor ein Luft-Taxi für flugtauglich erklärt und von einer Aufsichtsbehörde wie der amerikanischen FAA zugelassen werden kann. Bislang gibt es nirgendwo auf der Welt einen anerkannten Prozess, um eine bemannte Drohne zu zertifizieren. Selbst die Zulassung von unbemannten Drohnen, die mehr als 25 Kilo wiegen, ist eine Grauzone, die etwa in den USA einer Ausnahmegenehmigung bedarf.
Die regulatorische Ungewissheit verzögert Experimente. So hat der chinesische Hersteller eHang zwar schon Anfang 2016 angekündigt, das eHang 184 im US-Bundesstaat Nevada zu testen – einem der weltweit führenden Standorte für Drohnen-Erprobung. Doch bislang sind der Ankündigung keine konkreten Taten gefolgt. "Uns fehlt die Checkliste. Ich würde erst dann davon ausgehen, dass diese Dinger sicher sind, wenn ein CEO sein eigenes Kind drin fliegen lässt“, kommentiert Cummins.
Und selbst wenn Nevada in Absprache mit FAA-Fachleuten ein detailliertes Testprogramm mit dem Ziel der Zulassung formuliert hätte, steht immer noch die zweite Frage im Raum, wie der Flugverkehr von Hunderten oder Tausenden von Cargo-Drohnen, bemannten Air Taxis und anderen Flugobjekten in einem Ballungszentrum sicher und verlässlich abgewickelt werden soll.